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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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stische Gelehrsamkeit und Römische Sprache
waren zu sehr verwebt in einander.

Das seltsame Urtheil des seel. Christs ist
nur dem ersten Anblick nach selten: die deut-
sche Sprache habe seit dem 16 ten Jahrhundert
viel von ihrer Vortreflichkeit verlohren. Be-
trachtet man es näher, und hat wahres Ge-
fühl von der innern Stärke einer Sprache:
und vermag die wichtigen Vortheile der
Schwäbischen Sänger, und die körnichte
Sprache deutscher Schriftsteller voriger Zei-
ten; oder auch nur den Vater Opitz in sei-
ner Prose und Poesie zu schmecken: so muß
man bei der Rückkehr zu unsrer neueren
Sprache, man muß ausrufen: das ist ganz
ander Deutsch!
Jenes hat ganz andre Feh-
ler und ganz andre Schönheiten; der Geist
hat sich verändert. Alsdenn werden freilich
die Reulinge unsere junge Mundart loben,
und sie haben Recht; denn unstreitig ist sie
geläufiger und runder im Perioden, artiger
in Bestimmung der Wortwürde, und künst-
licher geworden. Aber ein ächter Deutscher
wird sich aus dieser rauhen und einfältigen
Sprache unendlich viel zurückwünschen; er

wird

ſtiſche Gelehrſamkeit und Roͤmiſche Sprache
waren zu ſehr verwebt in einander.

Das ſeltſame Urtheil des ſeel. Chriſts iſt
nur dem erſten Anblick nach ſelten: die deut-
ſche Sprache habe ſeit dem 16 ten Jahrhundert
viel von ihrer Vortreflichkeit verlohren. Be-
trachtet man es naͤher, und hat wahres Ge-
fuͤhl von der innern Staͤrke einer Sprache:
und vermag die wichtigen Vortheile der
Schwaͤbiſchen Saͤnger, und die koͤrnichte
Sprache deutſcher Schriftſteller voriger Zei-
ten; oder auch nur den Vater Opitz in ſei-
ner Proſe und Poeſie zu ſchmecken: ſo muß
man bei der Ruͤckkehr zu unſrer neueren
Sprache, man muß ausrufen: das iſt ganz
ander Deutſch!
Jenes hat ganz andre Feh-
ler und ganz andre Schoͤnheiten; der Geiſt
hat ſich veraͤndert. Alsdenn werden freilich
die Reulinge unſere junge Mundart loben,
und ſie haben Recht; denn unſtreitig iſt ſie
gelaͤufiger und runder im Perioden, artiger
in Beſtimmung der Wortwuͤrde, und kuͤnſt-
licher geworden. Aber ein aͤchter Deutſcher
wird ſich aus dieſer rauhen und einfaͤltigen
Sprache unendlich viel zuruͤckwuͤnſchen; er

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[24/0032] ſtiſche Gelehrſamkeit und Roͤmiſche Sprache waren zu ſehr verwebt in einander. Das ſeltſame Urtheil des ſeel. Chriſts iſt nur dem erſten Anblick nach ſelten: die deut- ſche Sprache habe ſeit dem 16 ten Jahrhundert viel von ihrer Vortreflichkeit verlohren. Be- trachtet man es naͤher, und hat wahres Ge- fuͤhl von der innern Staͤrke einer Sprache: und vermag die wichtigen Vortheile der Schwaͤbiſchen Saͤnger, und die koͤrnichte Sprache deutſcher Schriftſteller voriger Zei- ten; oder auch nur den Vater Opitz in ſei- ner Proſe und Poeſie zu ſchmecken: ſo muß man bei der Ruͤckkehr zu unſrer neueren Sprache, man muß ausrufen: das iſt ganz ander Deutſch! Jenes hat ganz andre Feh- ler und ganz andre Schoͤnheiten; der Geiſt hat ſich veraͤndert. Alsdenn werden freilich die Reulinge unſere junge Mundart loben, und ſie haben Recht; denn unſtreitig iſt ſie gelaͤufiger und runder im Perioden, artiger in Beſtimmung der Wortwuͤrde, und kuͤnſt- licher geworden. Aber ein aͤchter Deutſcher wird ſich aus dieſer rauhen und einfaͤltigen Sprache unendlich viel zuruͤckwuͤnſchen; er wird

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/32>, abgerufen am 24.11.2024.