Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Art für K. als einen Dichter der Religion,
und für jeden sympathetischen Leser.

Und kann K. nun nicht in einen Enthusias-
mus gerathen, wo ihm schwer wird, was er
denkt, durch Worte auszudrücken, wo die
Sprache für ihn zu schwache, zu wenige Wor-
te hat --? Allerdings! und wo bleibt nun
die an sich wahre Anmerkung des Recens.:
"Ja! das kömmt daher, daß du nicht deut-
lich
denkest." Jn dieser poetischen Begei-
sterung konnte, und dorfte, und mußte ich
auch nicht blos deutlich denken, sonst wäre
ich ein elender Tropf geworden. Wo bleibt
der Machtspruch: "daß die Sprache alle
Nuancen der Empfindung sollte ausdrücken
können: das ist eben so unmöglich, als es
unnöthig seyn würde." Unmöglich? das
wollte ich fast sagen: denn wer je etwas von
der Begeisterung geschmeckt, da unsre Ein-
bildungskraft ringet, um Bilder und Empfin-
dungen, ungesagte Bilder, und wahre, mäch-
tige, lebhafte Empfindungen auszudrücken,
der wird die süße Mühe, die freudenvolle
Geburtsschmerzen kennen, in denen ein Kind

des
U 4

Art fuͤr K. als einen Dichter der Religion,
und fuͤr jeden ſympathetiſchen Leſer.

Und kann K. nun nicht in einen Enthuſiaſ-
mus gerathen, wo ihm ſchwer wird, was er
denkt, durch Worte auszudruͤcken, wo die
Sprache fuͤr ihn zu ſchwache, zu wenige Wor-
te hat —? Allerdings! und wo bleibt nun
die an ſich wahre Anmerkung des Recenſ.:
„Ja! das koͤmmt daher, daß du nicht deut-
lich
denkeſt.„ Jn dieſer poetiſchen Begei-
ſterung konnte, und dorfte, und mußte ich
auch nicht blos deutlich denken, ſonſt waͤre
ich ein elender Tropf geworden. Wo bleibt
der Machtſpruch: „daß die Sprache alle
Nuancen der Empfindung ſollte ausdruͤcken
koͤnnen: das iſt eben ſo unmoͤglich, als es
unnoͤthig ſeyn wuͤrde.„ Unmoͤglich? das
wollte ich faſt ſagen: denn wer je etwas von
der Begeiſterung geſchmeckt, da unſre Ein-
bildungskraft ringet, um Bilder und Empfin-
dungen, ungeſagte Bilder, und wahre, maͤch-
tige, lebhafte Empfindungen auszudruͤcken,
der wird die ſuͤße Muͤhe, die freudenvolle
Geburtsſchmerzen kennen, in denen ein Kind

des
U 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0319" n="311"/>
Art fu&#x0364;r K. als einen Dichter der Religion,<lb/>
und fu&#x0364;r jeden &#x017F;ympatheti&#x017F;chen Le&#x017F;er.</p><lb/>
                <p>Und kann K. nun nicht in einen Enthu&#x017F;ia&#x017F;-<lb/>
mus gerathen, wo ihm &#x017F;chwer wird, was er<lb/>
denkt, durch Worte auszudru&#x0364;cken, wo die<lb/>
Sprache fu&#x0364;r ihn zu &#x017F;chwache, zu wenige Wor-<lb/>
te hat &#x2014;? Allerdings! und wo bleibt nun<lb/>
die <hi rendition="#fr">an &#x017F;ich</hi> wahre Anmerkung des Recen&#x017F;.:<lb/>
&#x201E;Ja! das ko&#x0364;mmt daher, daß du nicht <hi rendition="#fr">deut-<lb/>
lich</hi> denke&#x017F;t.&#x201E; Jn die&#x017F;er poeti&#x017F;chen Begei-<lb/>
&#x017F;terung <hi rendition="#fr">konnte,</hi> und <hi rendition="#fr">dorfte,</hi> und <hi rendition="#fr">mußte</hi> ich<lb/>
auch nicht blos <hi rendition="#fr">deutlich</hi> denken, &#x017F;on&#x017F;t wa&#x0364;re<lb/>
ich ein elender Tropf geworden. Wo bleibt<lb/>
der Macht&#x017F;pruch: &#x201E;daß die Sprache alle<lb/>
Nuancen der Empfindung &#x017F;ollte ausdru&#x0364;cken<lb/>
ko&#x0364;nnen: das i&#x017F;t eben &#x017F;o unmo&#x0364;glich, als es<lb/>
unno&#x0364;thig &#x017F;eyn wu&#x0364;rde.&#x201E; <hi rendition="#fr">Unmo&#x0364;glich?</hi> das<lb/>
wollte ich fa&#x017F;t &#x017F;agen: denn wer je etwas von<lb/>
der Begei&#x017F;terung ge&#x017F;chmeckt, da un&#x017F;re Ein-<lb/>
bildungskraft ringet, um Bilder und Empfin-<lb/>
dungen, unge&#x017F;agte Bilder, und wahre, ma&#x0364;ch-<lb/>
tige, lebhafte Empfindungen auszudru&#x0364;cken,<lb/>
der wird die &#x017F;u&#x0364;ße Mu&#x0364;he, die freudenvolle<lb/>
Geburts&#x017F;chmerzen kennen, in denen ein Kind<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">U 4</fw><fw place="bottom" type="catch">des</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0319] Art fuͤr K. als einen Dichter der Religion, und fuͤr jeden ſympathetiſchen Leſer. Und kann K. nun nicht in einen Enthuſiaſ- mus gerathen, wo ihm ſchwer wird, was er denkt, durch Worte auszudruͤcken, wo die Sprache fuͤr ihn zu ſchwache, zu wenige Wor- te hat —? Allerdings! und wo bleibt nun die an ſich wahre Anmerkung des Recenſ.: „Ja! das koͤmmt daher, daß du nicht deut- lich denkeſt.„ Jn dieſer poetiſchen Begei- ſterung konnte, und dorfte, und mußte ich auch nicht blos deutlich denken, ſonſt waͤre ich ein elender Tropf geworden. Wo bleibt der Machtſpruch: „daß die Sprache alle Nuancen der Empfindung ſollte ausdruͤcken koͤnnen: das iſt eben ſo unmoͤglich, als es unnoͤthig ſeyn wuͤrde.„ Unmoͤglich? das wollte ich faſt ſagen: denn wer je etwas von der Begeiſterung geſchmeckt, da unſre Ein- bildungskraft ringet, um Bilder und Empfin- dungen, ungeſagte Bilder, und wahre, maͤch- tige, lebhafte Empfindungen auszudruͤcken, der wird die ſuͤße Muͤhe, die freudenvolle Geburtsſchmerzen kennen, in denen ein Kind des U 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/319
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/319>, abgerufen am 05.05.2024.