Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

der Gottschede und Hudemanns zu statten
kömmt. - - Himmel, was sieht der Mann
alles? Jch bin doch auch, sagte jenes naive
Mädchen bei Eulenspiegels Malerei, die kein
unächtes Kind sehen sollte, ich bin doch auch
kein Hurenkind, und sehe nichts!

Wer hat es denn dem Kunstrichter in den
Kopf gesetzt: Klopstock wolle philosophi-
ren!
* Klopstock philosophiren? Die beste
Art zu denken, ist ja nicht die logisch beste
bei ihm: das sagt er ja nirgends, und daß
er sich hievon zu schreiben nicht übernimmt,
zeigen seine öfters unbestimmte Ausdrücke,
die ja nicht Philosophie seyn können. Und
doch redet der Kunstr. vom Philosophiren be-
ständig; will Neues haben, wo K. an nichts
Neues denkt: protestirt wider Jrrthümer,
spricht von der üblichen Sprache der Welt-
weisen, und sieht überall dies Stück im Auf-
seher, als ein Programm an, das im Namen
eines Prof. der Metaphysik am schwarzen
Brette feierlich zu einem Collegio über die

natür-
* Th. 6. p. 375. 377.

der Gottſchede und Hudemanns zu ſtatten
koͤmmt. – – Himmel, was ſieht der Mann
alles? Jch bin doch auch, ſagte jenes naive
Maͤdchen bei Eulenſpiegels Malerei, die kein
unaͤchtes Kind ſehen ſollte, ich bin doch auch
kein Hurenkind, und ſehe nichts!

Wer hat es denn dem Kunſtrichter in den
Kopf geſetzt: Klopſtock wolle philoſophi-
ren!
* Klopſtock philoſophiren? Die beſte
Art zu denken, iſt ja nicht die logiſch beſte
bei ihm: das ſagt er ja nirgends, und daß
er ſich hievon zu ſchreiben nicht uͤbernimmt,
zeigen ſeine oͤfters unbeſtimmte Ausdruͤcke,
die ja nicht Philoſophie ſeyn koͤnnen. Und
doch redet der Kunſtr. vom Philoſophiren be-
ſtaͤndig; will Neues haben, wo K. an nichts
Neues denkt: proteſtirt wider Jrrthuͤmer,
ſpricht von der uͤblichen Sprache der Welt-
weiſen, und ſieht uͤberall dies Stuͤck im Auf-
ſeher, als ein Programm an, das im Namen
eines Prof. der Metaphyſik am ſchwarzen
Brette feierlich zu einem Collegio uͤber die

natuͤr-
* Th. 6. p. 375. 377.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0316" n="308"/>
der <hi rendition="#fr">Gott&#x017F;chede</hi> und <hi rendition="#fr">Hudemanns</hi> zu &#x017F;tatten<lb/>
ko&#x0364;mmt. &#x2013; &#x2013; Himmel, was &#x017F;ieht der Mann<lb/>
alles? Jch bin doch auch, &#x017F;agte jenes naive<lb/>
Ma&#x0364;dchen bei Eulen&#x017F;piegels Malerei, die kein<lb/>
una&#x0364;chtes Kind &#x017F;ehen &#x017F;ollte, ich bin doch auch<lb/>
kein Hurenkind, und &#x017F;ehe nichts!</p><lb/>
                <p>Wer hat es denn dem Kun&#x017F;trichter in den<lb/>
Kopf ge&#x017F;etzt: <hi rendition="#fr">Klop&#x017F;tock</hi> wolle <hi rendition="#fr">philo&#x017F;ophi-<lb/>
ren!</hi><note place="foot" n="*">Th. 6. p. 375. 377.</note> Klop&#x017F;tock philo&#x017F;ophiren? Die be&#x017F;te<lb/>
Art zu denken, i&#x017F;t ja nicht die <hi rendition="#fr">logi&#x017F;ch</hi> be&#x017F;te<lb/>
bei ihm: das &#x017F;agt er ja nirgends, und daß<lb/>
er &#x017F;ich hievon zu &#x017F;chreiben nicht u&#x0364;bernimmt,<lb/>
zeigen &#x017F;eine o&#x0364;fters <hi rendition="#fr">unbe&#x017F;timmte</hi> Ausdru&#x0364;cke,<lb/>
die ja nicht Philo&#x017F;ophie &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen. Und<lb/>
doch redet der Kun&#x017F;tr. vom Philo&#x017F;ophiren be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig; will Neues haben, wo K. an nichts<lb/>
Neues denkt: prote&#x017F;tirt wider Jrrthu&#x0364;mer,<lb/>
&#x017F;pricht von der u&#x0364;blichen Sprache der Welt-<lb/>
wei&#x017F;en, und &#x017F;ieht u&#x0364;berall dies Stu&#x0364;ck im Auf-<lb/>
&#x017F;eher, als ein Programm an, das im Namen<lb/>
eines Prof. der Metaphy&#x017F;ik am &#x017F;chwarzen<lb/>
Brette feierlich zu einem Collegio u&#x0364;ber die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">natu&#x0364;r-</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0316] der Gottſchede und Hudemanns zu ſtatten koͤmmt. – – Himmel, was ſieht der Mann alles? Jch bin doch auch, ſagte jenes naive Maͤdchen bei Eulenſpiegels Malerei, die kein unaͤchtes Kind ſehen ſollte, ich bin doch auch kein Hurenkind, und ſehe nichts! Wer hat es denn dem Kunſtrichter in den Kopf geſetzt: Klopſtock wolle philoſophi- ren! * Klopſtock philoſophiren? Die beſte Art zu denken, iſt ja nicht die logiſch beſte bei ihm: das ſagt er ja nirgends, und daß er ſich hievon zu ſchreiben nicht uͤbernimmt, zeigen ſeine oͤfters unbeſtimmte Ausdruͤcke, die ja nicht Philoſophie ſeyn koͤnnen. Und doch redet der Kunſtr. vom Philoſophiren be- ſtaͤndig; will Neues haben, wo K. an nichts Neues denkt: proteſtirt wider Jrrthuͤmer, ſpricht von der uͤblichen Sprache der Welt- weiſen, und ſieht uͤberall dies Stuͤck im Auf- ſeher, als ein Programm an, das im Namen eines Prof. der Metaphyſik am ſchwarzen Brette feierlich zu einem Collegio uͤber die natuͤr- * Th. 6. p. 375. 377.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/316
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/316>, abgerufen am 04.05.2024.