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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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stand! Leute von einem Geschäft-nicht aber
Bücherverstande, wie können die das ganze
Gebäude eines solchen Perioden übersehen,
wenn es auch noch so stolz errichtet wäre.
Jhre Aufmerksamkeit ermüdet durch den
Zwang; da sie nicht mit dem Gelehrten ei-
nerlei Schärfe des Auges, und wenigstens
nicht einerlei Sehepunkt haben: so sind alle
die Schönheiten meistens für sie verloren, ja
das Ganze wird für sie dunkel. Diese Wen-
dung sollte den Zuhörer überraschen, und ver-
wirrt ihn, jener Umschweif soll ihm Gelegen-
heit geben, selbst einen Vorsprung zu thun,
und macht ihn irre: dieser kleine Schatten
soll sein Auge reizen, und macht es stumpf:
diese Gradation soll ihn stufenweise höher füh-
ren, und macht ihn matt; jene Jnversion
soll dem Gedanken einen Schwung geben, und
macht den Zuhörer schwindlich: wie viel rhe-
torischen Wendungen des Cicero muß nicht
also der geistliche Redner entsagen, um nicht
ein tönend Erz zu seyn. -- Und nun sezze
man dazu, daß unsre ganze Wortfügung,
nicht das periodische Bild erlaubt, das mit
jedem Wort den Gedanken weiter führt, besser

aus-

ſtand! Leute von einem Geſchaͤft-nicht aber
Buͤcherverſtande, wie koͤnnen die das ganze
Gebaͤude eines ſolchen Perioden uͤberſehen,
wenn es auch noch ſo ſtolz errichtet waͤre.
Jhre Aufmerkſamkeit ermuͤdet durch den
Zwang; da ſie nicht mit dem Gelehrten ei-
nerlei Schaͤrfe des Auges, und wenigſtens
nicht einerlei Sehepunkt haben: ſo ſind alle
die Schoͤnheiten meiſtens fuͤr ſie verloren, ja
das Ganze wird fuͤr ſie dunkel. Dieſe Wen-
dung ſollte den Zuhoͤrer uͤberraſchen, und ver-
wirrt ihn, jener Umſchweif ſoll ihm Gelegen-
heit geben, ſelbſt einen Vorſprung zu thun,
und macht ihn irre: dieſer kleine Schatten
ſoll ſein Auge reizen, und macht es ſtumpf:
dieſe Gradation ſoll ihn ſtufenweiſe hoͤher fuͤh-
ren, und macht ihn matt; jene Jnverſion
ſoll dem Gedanken einen Schwung geben, und
macht den Zuhoͤrer ſchwindlich: wie viel rhe-
toriſchen Wendungen des Cicero muß nicht
alſo der geiſtliche Redner entſagen, um nicht
ein toͤnend Erz zu ſeyn. — Und nun ſezze
man dazu, daß unſre ganze Wortfuͤgung,
nicht das periodiſche Bild erlaubt, das mit
jedem Wort den Gedanken weiter fuͤhrt, beſſer

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[285/0293] ſtand! Leute von einem Geſchaͤft-nicht aber Buͤcherverſtande, wie koͤnnen die das ganze Gebaͤude eines ſolchen Perioden uͤberſehen, wenn es auch noch ſo ſtolz errichtet waͤre. Jhre Aufmerkſamkeit ermuͤdet durch den Zwang; da ſie nicht mit dem Gelehrten ei- nerlei Schaͤrfe des Auges, und wenigſtens nicht einerlei Sehepunkt haben: ſo ſind alle die Schoͤnheiten meiſtens fuͤr ſie verloren, ja das Ganze wird fuͤr ſie dunkel. Dieſe Wen- dung ſollte den Zuhoͤrer uͤberraſchen, und ver- wirrt ihn, jener Umſchweif ſoll ihm Gelegen- heit geben, ſelbſt einen Vorſprung zu thun, und macht ihn irre: dieſer kleine Schatten ſoll ſein Auge reizen, und macht es ſtumpf: dieſe Gradation ſoll ihn ſtufenweiſe hoͤher fuͤh- ren, und macht ihn matt; jene Jnverſion ſoll dem Gedanken einen Schwung geben, und macht den Zuhoͤrer ſchwindlich: wie viel rhe- toriſchen Wendungen des Cicero muß nicht alſo der geiſtliche Redner entſagen, um nicht ein toͤnend Erz zu ſeyn. — Und nun ſezze man dazu, daß unſre ganze Wortfuͤgung, nicht das periodiſche Bild erlaubt, das mit jedem Wort den Gedanken weiter fuͤhrt, beſſer aus-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/293>, abgerufen am 22.11.2024.