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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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ner zarten Jugend an, sich nach dem Latein
gebildet, daß der periodische Cerimonienzwang,
der in Schulen von lateinischen zu deutschen
Chrien steiget, noch manchmal bei den besten
Gedanken durchblickt. "Jm Deutschen ist
"ja ein Stil immer schon periodisch, wenn
"auch die Bindewörter der Lateiner nicht so
"genau dazwischen gestellet, und die Absätze
"so gekettet an einander gehänget sind *."
So will es die deutsche Sprache, die von
Hülfswörtern und wesentlichen Bestimmungs-
wörtern so wimmelt, daß man die periodi-
schen nicht nöthig hat.

Und was will das Ohr der Zuhörer,
wenn es schon die Sprache an sich so fodert.
"Weil bei den Römern immer ein Satz mit
"wenig Worten dastand, und die Seele also
"wenige Zeichen zu fassen hatte: so konnten
"auch die folgenden Begriffe eher angehänget
"werden, wenn nicht die Wichtigkeit der
"Betrachtung den Autor zwang, lieber dem
"Geist viel Ruheplätze zu verschaffen, als das
"Ohr zu füllen." Aber bei unsern deutschen
Kanzelperioden, wie oft leidet da der Ver-

stand!
* Ebendaselbst.

ner zarten Jugend an, ſich nach dem Latein
gebildet, daß der periodiſche Cerimonienzwang,
der in Schulen von lateiniſchen zu deutſchen
Chrien ſteiget, noch manchmal bei den beſten
Gedanken durchblickt. „Jm Deutſchen iſt
„ja ein Stil immer ſchon periodiſch, wenn
„auch die Bindewoͤrter der Lateiner nicht ſo
„genau dazwiſchen geſtellet, und die Abſaͤtze
„ſo gekettet an einander gehaͤnget ſind *.„
So will es die deutſche Sprache, die von
Huͤlfswoͤrtern und weſentlichen Beſtimmungs-
woͤrtern ſo wimmelt, daß man die periodi-
ſchen nicht noͤthig hat.

Und was will das Ohr der Zuhoͤrer,
wenn es ſchon die Sprache an ſich ſo fodert.
„Weil bei den Roͤmern immer ein Satz mit
„wenig Worten daſtand, und die Seele alſo
„wenige Zeichen zu faſſen hatte: ſo konnten
„auch die folgenden Begriffe eher angehaͤnget
„werden, wenn nicht die Wichtigkeit der
„Betrachtung den Autor zwang, lieber dem
„Geiſt viel Ruheplaͤtze zu verſchaffen, als das
„Ohr zu fuͤllen.„ Aber bei unſern deutſchen
Kanzelperioden, wie oft leidet da der Ver-

ſtand!
* Ebendaſelbſt.
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[284/0292] ner zarten Jugend an, ſich nach dem Latein gebildet, daß der periodiſche Cerimonienzwang, der in Schulen von lateiniſchen zu deutſchen Chrien ſteiget, noch manchmal bei den beſten Gedanken durchblickt. „Jm Deutſchen iſt „ja ein Stil immer ſchon periodiſch, wenn „auch die Bindewoͤrter der Lateiner nicht ſo „genau dazwiſchen geſtellet, und die Abſaͤtze „ſo gekettet an einander gehaͤnget ſind *.„ So will es die deutſche Sprache, die von Huͤlfswoͤrtern und weſentlichen Beſtimmungs- woͤrtern ſo wimmelt, daß man die periodi- ſchen nicht noͤthig hat. Und was will das Ohr der Zuhoͤrer, wenn es ſchon die Sprache an ſich ſo fodert. „Weil bei den Roͤmern immer ein Satz mit „wenig Worten daſtand, und die Seele alſo „wenige Zeichen zu faſſen hatte: ſo konnten „auch die folgenden Begriffe eher angehaͤnget „werden, wenn nicht die Wichtigkeit der „Betrachtung den Autor zwang, lieber dem „Geiſt viel Ruheplaͤtze zu verſchaffen, als das „Ohr zu fuͤllen.„ Aber bei unſern deutſchen Kanzelperioden, wie oft leidet da der Ver- ſtand! * Ebendaſelbſt.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/292>, abgerufen am 22.11.2024.