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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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"Nun wollen wir die übrigen Redearten
"dagegen halten. Wie die Menschen heut zu
"Tage von Homers Helden an Stärke ver-
"schieden sind: so stehen auch die bei uns übli-
"chen Redearten von der alten gerichtlichen
"Art ab. Bei den panegyrischen und aka-
"demischen
Reden erhellet es von selbst.
"Was sind die letztern? Abhandlungen ab-
"strakter Sätze. Sie können schön vorgetra-
"gen werden: aber was ist dieser Schmuck
"gegen die Rüstung auf das Schlachtfeld?
"Der Panegyrikus? O laß die Zeiten noch
"so heldenreich seyn: er ist selten anzurathen.
"Hundert Biographen; aber höchstens einen
"Panegyristen. Vossuet unter den neuern
"ist wohl das größte Muster hierinn, (denn
"Fleschier ist meistens nur wohlredend) aber
"einmal hat er nicht viel Lobreden geschrie-
"ben: und denn wird sie auch niemand mit
"den größten Reden der Alten vergleichen.
"Wenn diese lobten: so war das Lob nie-
"mals ihre Hauptabsicht, sondern nur ein
"Mittel zu derselben: den Plinius ausge-
"nommen. Einiges Mitleid und Bewunde-
"rung sind die einzigen Rührungen, die wir

"dabei

„Nun wollen wir die uͤbrigen Redearten
„dagegen halten. Wie die Menſchen heut zu
„Tage von Homers Helden an Staͤrke ver-
„ſchieden ſind: ſo ſtehen auch die bei uns uͤbli-
„chen Redearten von der alten gerichtlichen
„Art ab. Bei den panegyriſchen und aka-
„demiſchen
Reden erhellet es von ſelbſt.
„Was ſind die letztern? Abhandlungen ab-
„ſtrakter Saͤtze. Sie koͤnnen ſchoͤn vorgetra-
„gen werden: aber was iſt dieſer Schmuck
„gegen die Ruͤſtung auf das Schlachtfeld?
„Der Panegyrikus? O laß die Zeiten noch
„ſo heldenreich ſeyn: er iſt ſelten anzurathen.
„Hundert Biographen; aber hoͤchſtens einen
„Panegyriſten. Voſſuet unter den neuern
„iſt wohl das groͤßte Muſter hierinn, (denn
Fleſchier iſt meiſtens nur wohlredend) aber
„einmal hat er nicht viel Lobreden geſchrie-
„ben: und denn wird ſie auch niemand mit
„den groͤßten Reden der Alten vergleichen.
„Wenn dieſe lobten: ſo war das Lob nie-
„mals ihre Hauptabſicht, ſondern nur ein
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„nommen. Einiges Mitleid und Bewunde-
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[267/0275] „Nun wollen wir die uͤbrigen Redearten „dagegen halten. Wie die Menſchen heut zu „Tage von Homers Helden an Staͤrke ver- „ſchieden ſind: ſo ſtehen auch die bei uns uͤbli- „chen Redearten von der alten gerichtlichen „Art ab. Bei den panegyriſchen und aka- „demiſchen Reden erhellet es von ſelbſt. „Was ſind die letztern? Abhandlungen ab- „ſtrakter Saͤtze. Sie koͤnnen ſchoͤn vorgetra- „gen werden: aber was iſt dieſer Schmuck „gegen die Ruͤſtung auf das Schlachtfeld? „Der Panegyrikus? O laß die Zeiten noch „ſo heldenreich ſeyn: er iſt ſelten anzurathen. „Hundert Biographen; aber hoͤchſtens einen „Panegyriſten. Voſſuet unter den neuern „iſt wohl das groͤßte Muſter hierinn, (denn „Fleſchier iſt meiſtens nur wohlredend) aber „einmal hat er nicht viel Lobreden geſchrie- „ben: und denn wird ſie auch niemand mit „den groͤßten Reden der Alten vergleichen. „Wenn dieſe lobten: ſo war das Lob nie- „mals ihre Hauptabſicht, ſondern nur ein „Mittel zu derſelben: den Plinius ausge- „nommen. Einiges Mitleid und Bewunde- „rung ſind die einzigen Ruͤhrungen, die wir „dabei

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/275>, abgerufen am 21.05.2024.