Sollte Juvenal Sitten dergestalt in seine Satyre bringen, daß blos die Namen verän- dert sind: so daß nur Aufmerksamkeit auf das menschliche Leben, ein Eifer, der vom Her- zen weg spricht, und Beurtheilungskraft, das Wichtigste und Merkwürdigste zu schil- dern, die Talente zur Juvenalschen Satyre wären?
Wäre Juvenals Charakter, daß er Nar- ren und Bösewichter kenntlich schildert; und er würde nicht bei diesem Känntlichen ein Pasquillant? Sollte er von den schlechten Charakterschmierern unsrer Wochenblätter blos durch Genauigkeit und Kolorit unter- schieden seyn? Eine Satyre, die das Kännt- liche, das Genaue zu ihrem Hauptzuge hat, verdient die den Rang, den doch Juvenal mit Recht fodert?
"Die horazische Methode in der Satyre- "mit dem Talente muß man gebohren seyn!" Muß denn das Juvenalsche Talent nicht an- gebohren seyn? -- Sobald man das kindische Vorurtheil ablegt, die Einkleidung sey das vornehmste in der Satyre, so kömmt Juve- nal an Genie zur Satyre, immer über Horaz.
"Juve-
R 2
Sollte Juvenal Sitten dergeſtalt in ſeine Satyre bringen, daß blos die Namen veraͤn- dert ſind: ſo daß nur Aufmerkſamkeit auf das menſchliche Leben, ein Eifer, der vom Her- zen weg ſpricht, und Beurtheilungskraft, das Wichtigſte und Merkwuͤrdigſte zu ſchil- dern, die Talente zur Juvenalſchen Satyre waͤren?
Waͤre Juvenals Charakter, daß er Nar- ren und Boͤſewichter kenntlich ſchildert; und er wuͤrde nicht bei dieſem Kaͤnntlichen ein Paſquillant? Sollte er von den ſchlechten Charakterſchmierern unſrer Wochenblaͤtter blos durch Genauigkeit und Kolorit unter- ſchieden ſeyn? Eine Satyre, die das Kaͤnnt- liche, das Genaue zu ihrem Hauptzuge hat, verdient die den Rang, den doch Juvenal mit Recht fodert?
„Die horaziſche Methode in der Satyre- „mit dem Talente muß man gebohren ſeyn!„ Muß denn das Juvenalſche Talent nicht an- gebohren ſeyn? — Sobald man das kindiſche Vorurtheil ablegt, die Einkleidung ſey das vornehmſte in der Satyre, ſo koͤmmt Juve- nal an Genie zur Satyre, immer uͤber Horaz.
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das menſchliche Leben, ein Eifer, der vom Her-
zen weg ſpricht, und Beurtheilungskraft,
das Wichtigſte und Merkwuͤrdigſte zu ſchil-
dern, die Talente zur Juvenalſchen Satyre
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Waͤre Juvenals Charakter, daß er Nar-
ren und Boͤſewichter kenntlich ſchildert; und
er wuͤrde nicht bei dieſem Kaͤnntlichen ein
Paſquillant? Sollte er von den ſchlechten
Charakterſchmierern unſrer Wochenblaͤtter
blos durch Genauigkeit und Kolorit unter-
ſchieden ſeyn? Eine Satyre, die das Kaͤnnt-
liche, das Genaue zu ihrem Hauptzuge hat,
verdient die den Rang, den doch Juvenal mit
Recht fodert?
„Die horaziſche Methode in der Satyre-
„mit dem Talente muß man gebohren ſeyn!„
Muß denn das Juvenalſche Talent nicht an-
gebohren ſeyn? — Sobald man das kindiſche
Vorurtheil ablegt, die Einkleidung ſey das
vornehmſte in der Satyre, ſo koͤmmt Juve-
nal an Genie zur Satyre, immer uͤber Horaz.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/267>, abgerufen am 16.02.2025.
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