Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.Wenn die Schicksale einer besondern Ge- sollen; daß die Ursachen gleichsam die einzeln Züge
vereinigen -- und so wird ein philosophisches Gedicht daraus, das zwar in einzelnen Tö- nen elegisch wird, (wie in vielen Stücken unsrer philosophischen Dichter,) aber nicht den Hauptton der Elegie annehmen kann, weil dieser dem Gegenstande nach fremde ist. Und er ists auch zweitens nach der Wür- kung, die der Gegenstand auf uns macht. Jch sezze zum Voraus, daß er unsern Em- pfindungen nahe gnug liege, denn sonst kann die Poesie bildervoll und tiessinnig, aber ganz und gar nicht elegisch werden. Jch nehme an, daß er in dem Gesichtspunkt betrachtet werde, daß er uns intereßirt, daß er auf un- ser Herz würkt: -- was wird geschehen? Voll Gefühl über die Unvollkommenheiten der Menschheit wird der Dichter in Klagen aus- brechen, die eher ein tragisches Selbstgespräch als Elegie werden: so sind die rührenden Selbstgespräche Hamlets, die nicht eigentlich voll Leidenschaft, sondern als Ausbrüche einer düstern Laune zu betrachten sind. Jch müßte die ganze dritte Scene: Oh that this too too solid flesh would melt u. s. w. die das Selbstgespräch, da ihm der Geist er- schienen, Wenn die Schickſale einer beſondern Ge- ſollen; daß die Urſachen gleichſam die einzeln Zuͤge
vereinigen — und ſo wird ein philoſophiſches Gedicht daraus, das zwar in einzelnen Toͤ- nen elegiſch wird, (wie in vielen Stuͤcken unſrer philoſophiſchen Dichter,) aber nicht den Hauptton der Elegie annehmen kann, weil dieſer dem Gegenſtande nach fremde iſt. Und er iſts auch zweitens nach der Wuͤr- kung, die der Gegenſtand auf uns macht. Jch ſezze zum Voraus, daß er unſern Em- pfindungen nahe gnug liege, denn ſonſt kann die Poeſie bildervoll und tieſſinnig, aber ganz und gar nicht elegiſch werden. Jch nehme an, daß er in dem Geſichtspunkt betrachtet werde, daß er uns intereßirt, daß er auf un- ſer Herz wuͤrkt: — was wird geſchehen? Voll Gefuͤhl uͤber die Unvollkommenheiten der Menſchheit wird der Dichter in Klagen aus- brechen, die eher ein tragiſches Selbſtgeſpraͤch als Elegie werden: ſo ſind die ruͤhrenden Selbſtgeſpraͤche Hamlets, die nicht eigentlich voll Leidenſchaft, ſondern als Ausbruͤche einer duͤſtern Laune zu betrachten ſind. Jch muͤßte die ganze dritte Scene: Oh that this too too ſolid fleſh would melt u. ſ. w. die das Selbſtgeſpraͤch, da ihm der Geiſt er- ſchienen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0236" n="228"/> <p>Wenn die Schickſale einer <hi rendition="#fr">beſondern Ge-<lb/> ſellſchaft</hi> dergleichen Empfindungen erregen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſollen;</fw><lb/><note next="#seg2pn_12_3" xml:id="seg2pn_12_2" prev="#seg2pn_12_1" place="foot" n="*">daß die <hi rendition="#fr">Urſachen</hi> gleichſam die einzeln Zuͤge<lb/> vereinigen — und ſo wird ein philoſophiſches<lb/> Gedicht daraus, das zwar in <hi rendition="#fr">einzelnen Toͤ-<lb/> nen</hi> elegiſch wird, (wie in vielen Stuͤcken<lb/> unſrer philoſophiſchen Dichter,) aber nicht den<lb/> Hauptton der Elegie annehmen kann, weil<lb/> dieſer <hi rendition="#fr">dem Gegenſtande</hi> nach fremde iſt.<lb/> Und er iſts auch <hi rendition="#fr">zweitens</hi> nach der <hi rendition="#fr">Wuͤr-<lb/> kung,</hi> die der Gegenſtand auf uns macht.<lb/> Jch ſezze zum Voraus, daß er unſern Em-<lb/> pfindungen nahe gnug liege, denn ſonſt kann<lb/> die Poeſie bildervoll und tieſſinnig, aber ganz<lb/> und gar nicht elegiſch werden. Jch nehme<lb/> an, daß er in dem Geſichtspunkt betrachtet<lb/> werde, daß er uns intereßirt, daß er auf un-<lb/> ſer Herz wuͤrkt: — was wird geſchehen?<lb/> Voll Gefuͤhl uͤber die Unvollkommenheiten der<lb/> Menſchheit wird der Dichter in Klagen aus-<lb/> brechen, die eher ein tragiſches Selbſtgeſpraͤch<lb/> als Elegie werden: ſo ſind die ruͤhrenden<lb/> Selbſtgeſpraͤche <hi rendition="#fr">Hamlets,</hi> die nicht eigentlich<lb/> voll <hi rendition="#fr">Leidenſchaft,</hi> ſondern als Ausbruͤche<lb/> einer <hi rendition="#fr">duͤſtern Laune zu betrachten</hi> ſind.<lb/> Jch muͤßte die ganze dritte Scene: <hi rendition="#aq">Oh that<lb/> this too too ſolid fleſh would melt u.</hi> ſ. w.<lb/> die das Selbſtgeſpraͤch, da ihm der Geiſt er-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſchienen,</fw></note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [228/0236]
Wenn die Schickſale einer beſondern Ge-
ſellſchaft dergleichen Empfindungen erregen
ſollen;
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* daß die Urſachen gleichſam die einzeln Zuͤge
vereinigen — und ſo wird ein philoſophiſches
Gedicht daraus, das zwar in einzelnen Toͤ-
nen elegiſch wird, (wie in vielen Stuͤcken
unſrer philoſophiſchen Dichter,) aber nicht den
Hauptton der Elegie annehmen kann, weil
dieſer dem Gegenſtande nach fremde iſt.
Und er iſts auch zweitens nach der Wuͤr-
kung, die der Gegenſtand auf uns macht.
Jch ſezze zum Voraus, daß er unſern Em-
pfindungen nahe gnug liege, denn ſonſt kann
die Poeſie bildervoll und tieſſinnig, aber ganz
und gar nicht elegiſch werden. Jch nehme
an, daß er in dem Geſichtspunkt betrachtet
werde, daß er uns intereßirt, daß er auf un-
ſer Herz wuͤrkt: — was wird geſchehen?
Voll Gefuͤhl uͤber die Unvollkommenheiten der
Menſchheit wird der Dichter in Klagen aus-
brechen, die eher ein tragiſches Selbſtgeſpraͤch
als Elegie werden: ſo ſind die ruͤhrenden
Selbſtgeſpraͤche Hamlets, die nicht eigentlich
voll Leidenſchaft, ſondern als Ausbruͤche
einer duͤſtern Laune zu betrachten ſind.
Jch muͤßte die ganze dritte Scene: Oh that
this too too ſolid fleſh would melt u. ſ. w.
die das Selbſtgeſpraͤch, da ihm der Geiſt er-
ſchienen,
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