"vorzutragen, und etwa hie und da durch "eine poetische Stelle aufzuputzen? Gewiß ist "es, daß er in Reimen und in der gewöhnli- "chen Versart ganz unerträglich seyn würde. "Diese Art des Vortrags hat, wenigstens im "Deutschen, eine gewisse Feyerlichkeit, die so "wohl mit dem Aufgeweckten des Theaters, "als mit dem Trocknen der Schute einen selt- "samen Contrast macht." -- * Jch weiß nicht, wie mir diese Stelle in die Feder kömmt, eben da ich Wieland unsern Lukrez genannt: auch er hat die Lehren einer Schule, in Rei- men, in der gewöhnlichen Versart vorgetra- gen, ziemlich trocken, und freilich schön auf- gestutzt mit poetischen Stellen -- und doch hat er Beifall gefunden? -- Je nun! es ist offenbar mehr des letztern, als des erstern we- gen gewesen. Jch schlage also zurück: **
"Unsere Schriftsteller haben sich in der all- "gemeinen betrachtenden Weltweisheit unge- "mein hervorgethan; aber in der besondern "ausübenden Sittenlehre möchte der Deut- "sche eher über Mangel zu klagen haben -- "Unsre Lehrdichter sind vortrefflich, wenn
"sie
* Th. 8. p. 216.
** Th. 8. p. 163 etc.
„vorzutragen, und etwa hie und da durch „eine poetiſche Stelle aufzuputzen? Gewiß iſt „es, daß er in Reimen und in der gewoͤhnli- „chen Versart ganz unertraͤglich ſeyn wuͤrde. „Dieſe Art des Vortrags hat, wenigſtens im „Deutſchen, eine gewiſſe Feyerlichkeit, die ſo „wohl mit dem Aufgeweckten des Theaters, „als mit dem Trocknen der Schute einen ſelt- „ſamen Contraſt macht.„ — * Jch weiß nicht, wie mir dieſe Stelle in die Feder koͤmmt, eben da ich Wieland unſern Lukrez genannt: auch er hat die Lehren einer Schule, in Rei- men, in der gewoͤhnlichen Versart vorgetra- gen, ziemlich trocken, und freilich ſchoͤn auf- geſtutzt mit poetiſchen Stellen — und doch hat er Beifall gefunden? — Je nun! es iſt offenbar mehr des letztern, als des erſtern we- gen geweſen. Jch ſchlage alſo zuruͤck: **
„Unſere Schriftſteller haben ſich in der all- „gemeinen betrachtenden Weltweisheit unge- „mein hervorgethan; aber in der beſondern „ausuͤbenden Sittenlehre moͤchte der Deut- „ſche eher uͤber Mangel zu klagen haben — „Unſre Lehrdichter ſind vortrefflich, wenn
„ſie
* Th. 8. p. 216.
** Th. 8. p. 163 ꝛc.
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„vorzutragen, und etwa hie und da durch
„eine poetiſche Stelle aufzuputzen? Gewiß iſt
„es, daß er in Reimen und in der gewoͤhnli-
„chen Versart ganz unertraͤglich ſeyn wuͤrde.
„Dieſe Art des Vortrags hat, wenigſtens im
„Deutſchen, eine gewiſſe Feyerlichkeit, die ſo
„wohl mit dem Aufgeweckten des Theaters,
„als mit dem Trocknen der Schute einen ſelt-
„ſamen Contraſt macht.„ — * Jch weiß
nicht, wie mir dieſe Stelle in die Feder koͤmmt,
eben da ich Wieland unſern Lukrez genannt:
auch er hat die Lehren einer Schule, in Rei-
men, in der gewoͤhnlichen Versart vorgetra-
gen, ziemlich trocken, und freilich ſchoͤn auf-
geſtutzt mit poetiſchen Stellen — und doch
hat er Beifall gefunden? — Je nun! es iſt
offenbar mehr des letztern, als des erſtern we-
gen geweſen. Jch ſchlage alſo zuruͤck: **
„Unſere Schriftſteller haben ſich in der all-
„gemeinen betrachtenden Weltweisheit unge-
„mein hervorgethan; aber in der beſondern
„ausuͤbenden Sittenlehre moͤchte der Deut-
„ſche eher uͤber Mangel zu klagen haben —
„Unſre Lehrdichter ſind vortrefflich, wenn
„ſie
* Th. 8. p. 216.
** Th. 8. p. 163 ꝛc.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/215>, abgerufen am 21.11.2024.
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