Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

und Empfindungen *, zu der ihm eignen
Kunst, die Seele des Menschen und Christen
zu schildern, worinn er eben mit Horaz nicht
zu vergleichen ist. Alle seine Oden sind mei-
stens Selbstgespräche des Herzens: sein
Psalm läßt Empfindungen, eine nach der
andre fortrauschen; wir hören Welle über
Welle schlagen: eine wird die höchste, und
es erfolgt eine Stille: wir stehen in Gedan-
ken, bis plötzlich eine neue Folge von Jdeen
uns mit einer süßen gedankenvollen Betäu-
bung berauscht. -- Seine meisten lyrischen
Arbeiten nähern sich dem Hymnus: in eini-
gen Stücken, die der Sammlung vermisch-
ter Schriften
eingerückt sind, sind freilich
vortreffliche Horazische Züge, insonderheit in
der Ode auf den Zürchersee; allein nie das
Ganze, nie der Hauptton, nie der Wohl-
klang
des Horaz. Jch möchte also Klop-
stock
aus seiner Sphäre reißen, wenn ich ihn
hier gegen Horaz sezzte; und doch -- ist cs
nicht Klopstock, der in einem Stück des Nor-
dischen Aufsehers
diese wunderbare Gedan-
ken sagt:

"Fast
* Litt. Br. Th. 8. p. 229.

und Empfindungen *, zu der ihm eignen
Kunſt, die Seele des Menſchen und Chriſten
zu ſchildern, worinn er eben mit Horaz nicht
zu vergleichen iſt. Alle ſeine Oden ſind mei-
ſtens Selbſtgeſpraͤche des Herzens: ſein
Pſalm laͤßt Empfindungen, eine nach der
andre fortrauſchen; wir hoͤren Welle uͤber
Welle ſchlagen: eine wird die hoͤchſte, und
es erfolgt eine Stille: wir ſtehen in Gedan-
ken, bis ploͤtzlich eine neue Folge von Jdeen
uns mit einer ſuͤßen gedankenvollen Betaͤu-
bung berauſcht. — Seine meiſten lyriſchen
Arbeiten naͤhern ſich dem Hymnus: in eini-
gen Stuͤcken, die der Sammlung vermiſch-
ter Schriften
eingeruͤckt ſind, ſind freilich
vortreffliche Horaziſche Zuͤge, inſonderheit in
der Ode auf den Zuͤrcherſee; allein nie das
Ganze, nie der Hauptton, nie der Wohl-
klang
des Horaz. Jch moͤchte alſo Klop-
ſtock
aus ſeiner Sphaͤre reißen, wenn ich ihn
hier gegen Horaz ſezzte; und doch — iſt cs
nicht Klopſtock, der in einem Stuͤck des Nor-
diſchen Aufſehers
dieſe wunderbare Gedan-
ken ſagt:

„Faſt
* Litt. Br. Th. 8. p. 229.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0210" n="202"/>
und <hi rendition="#fr">Empfindungen</hi> <note place="foot" n="*">Litt. Br. Th. 8. p. 229.</note>, zu der ihm eignen<lb/>
Kun&#x017F;t, die Seele des Men&#x017F;chen und Chri&#x017F;ten<lb/>
zu &#x017F;childern, worinn er eben mit Horaz nicht<lb/>
zu vergleichen i&#x017F;t. Alle &#x017F;eine Oden &#x017F;ind mei-<lb/>
&#x017F;tens <hi rendition="#fr">Selb&#x017F;tge&#x017F;pra&#x0364;che des Herzens:</hi> &#x017F;ein<lb/><hi rendition="#fr">P&#x017F;alm</hi> la&#x0364;ßt <hi rendition="#fr">Empfindungen,</hi> eine nach der<lb/>
andre fortrau&#x017F;chen; wir ho&#x0364;ren <hi rendition="#fr">Welle</hi> u&#x0364;ber<lb/><hi rendition="#fr">Welle</hi> &#x017F;chlagen: eine wird die ho&#x0364;ch&#x017F;te, und<lb/>
es erfolgt eine Stille: wir &#x017F;tehen in Gedan-<lb/>
ken, bis plo&#x0364;tzlich eine neue Folge von Jdeen<lb/>
uns mit einer &#x017F;u&#x0364;ßen gedankenvollen Beta&#x0364;u-<lb/>
bung berau&#x017F;cht. &#x2014; Seine mei&#x017F;ten lyri&#x017F;chen<lb/>
Arbeiten na&#x0364;hern &#x017F;ich dem <hi rendition="#fr">Hymnus:</hi> in eini-<lb/>
gen Stu&#x0364;cken, die der <hi rendition="#fr">Sammlung vermi&#x017F;ch-<lb/>
ter Schriften</hi> eingeru&#x0364;ckt &#x017F;ind, &#x017F;ind freilich<lb/>
vortreffliche Horazi&#x017F;che Zu&#x0364;ge, in&#x017F;onderheit in<lb/>
der <hi rendition="#fr">Ode auf den Zu&#x0364;rcher&#x017F;ee;</hi> allein nie das<lb/><hi rendition="#fr">Ganze,</hi> nie der <hi rendition="#fr">Hauptton,</hi> nie der <hi rendition="#fr">Wohl-<lb/>
klang</hi> des Horaz. Jch mo&#x0364;chte al&#x017F;o <hi rendition="#fr">Klop-<lb/>
&#x017F;tock</hi> aus &#x017F;einer Spha&#x0364;re reißen, wenn ich ihn<lb/>
hier gegen Horaz &#x017F;ezzte; und doch &#x2014; i&#x017F;t cs<lb/>
nicht <hi rendition="#fr">Klop&#x017F;tock,</hi> der in einem Stu&#x0364;ck des <hi rendition="#fr">Nor-<lb/>
di&#x017F;chen Auf&#x017F;ehers</hi> die&#x017F;e wunderbare Gedan-<lb/>
ken &#x017F;agt:</p><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Fa&#x017F;t</fw><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0210] und Empfindungen *, zu der ihm eignen Kunſt, die Seele des Menſchen und Chriſten zu ſchildern, worinn er eben mit Horaz nicht zu vergleichen iſt. Alle ſeine Oden ſind mei- ſtens Selbſtgeſpraͤche des Herzens: ſein Pſalm laͤßt Empfindungen, eine nach der andre fortrauſchen; wir hoͤren Welle uͤber Welle ſchlagen: eine wird die hoͤchſte, und es erfolgt eine Stille: wir ſtehen in Gedan- ken, bis ploͤtzlich eine neue Folge von Jdeen uns mit einer ſuͤßen gedankenvollen Betaͤu- bung berauſcht. — Seine meiſten lyriſchen Arbeiten naͤhern ſich dem Hymnus: in eini- gen Stuͤcken, die der Sammlung vermiſch- ter Schriften eingeruͤckt ſind, ſind freilich vortreffliche Horaziſche Zuͤge, inſonderheit in der Ode auf den Zuͤrcherſee; allein nie das Ganze, nie der Hauptton, nie der Wohl- klang des Horaz. Jch moͤchte alſo Klop- ſtock aus ſeiner Sphaͤre reißen, wenn ich ihn hier gegen Horaz ſezzte; und doch — iſt cs nicht Klopſtock, der in einem Stuͤck des Nor- diſchen Aufſehers dieſe wunderbare Gedan- ken ſagt: „Faſt * Litt. Br. Th. 8. p. 229.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/210
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/210>, abgerufen am 24.11.2024.