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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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überwindlich -- arme Helden! tapfre Väter!
ihr strittet vergebens: eure Urenkel nahmen
endlich diese Fessel der Freiheit halb gezwun-
gen, halb willig an, als eine Fessel der Ehre
-- am Altar!

Wir sehen diese dunkle Zeit oft aus einem
viel zu einseitigen Gesichtspunkt an: Karl der
große wird als ein Ruhmwürdiger und ver-
dienstvoller Monarch angepriesen, der die
Deutsche Sprache und Dichtkunst geliebt, die
lateinische Sprache und mit ihr die Wissen-
schaften, die Religion, und mit ihr das Glück
ausgebreitet hätte. -- Betrachtet ihn näher,
und sein Verdienst sinkt, wenn sein Ruhm bil-
lig pranget: er ward ein unglücklicher Mann,
der als ein Geschöpf von Rom, ein Sohn des
Pabstes, ein Eiferer bis zur Menschenfeind-
schaft, ein Vertilger der Bardischen Littera-
tur, der Vater eines unglücklichen Geschlechts,
blos eine neue Epoche voll Unruhe, Unheil
und nie zu erstattenden Schadens anfing --
und das alles ohne Schuld und meistens wi-
der seinen Willen.

Mönche und Fränkische Priesterhorden führ-
ten, das Schwert in der einen, und das Kreuz

in

uͤberwindlich — arme Helden! tapfre Vaͤter!
ihr ſtrittet vergebens: eure Urenkel nahmen
endlich dieſe Feſſel der Freiheit halb gezwun-
gen, halb willig an, als eine Feſſel der Ehre
— am Altar!

Wir ſehen dieſe dunkle Zeit oft aus einem
viel zu einſeitigen Geſichtspunkt an: Karl der
große wird als ein Ruhmwuͤrdiger und ver-
dienſtvoller Monarch angeprieſen, der die
Deutſche Sprache und Dichtkunſt geliebt, die
lateiniſche Sprache und mit ihr die Wiſſen-
ſchaften, die Religion, und mit ihr das Gluͤck
ausgebreitet haͤtte. — Betrachtet ihn naͤher,
und ſein Verdienſt ſinkt, wenn ſein Ruhm bil-
lig pranget: er ward ein ungluͤcklicher Mann,
der als ein Geſchoͤpf von Rom, ein Sohn des
Pabſtes, ein Eiferer bis zur Menſchenfeind-
ſchaft, ein Vertilger der Bardiſchen Littera-
tur, der Vater eines ungluͤcklichen Geſchlechts,
blos eine neue Epoche voll Unruhe, Unheil
und nie zu erſtattenden Schadens anfing —
und das alles ohne Schuld und meiſtens wi-
der ſeinen Willen.

Moͤnche und Fraͤnkiſche Prieſterhorden fuͤhr-
ten, das Schwert in der einen, und das Kreuz

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[10/0018] uͤberwindlich — arme Helden! tapfre Vaͤter! ihr ſtrittet vergebens: eure Urenkel nahmen endlich dieſe Feſſel der Freiheit halb gezwun- gen, halb willig an, als eine Feſſel der Ehre — am Altar! Wir ſehen dieſe dunkle Zeit oft aus einem viel zu einſeitigen Geſichtspunkt an: Karl der große wird als ein Ruhmwuͤrdiger und ver- dienſtvoller Monarch angeprieſen, der die Deutſche Sprache und Dichtkunſt geliebt, die lateiniſche Sprache und mit ihr die Wiſſen- ſchaften, die Religion, und mit ihr das Gluͤck ausgebreitet haͤtte. — Betrachtet ihn naͤher, und ſein Verdienſt ſinkt, wenn ſein Ruhm bil- lig pranget: er ward ein ungluͤcklicher Mann, der als ein Geſchoͤpf von Rom, ein Sohn des Pabſtes, ein Eiferer bis zur Menſchenfeind- ſchaft, ein Vertilger der Bardiſchen Littera- tur, der Vater eines ungluͤcklichen Geſchlechts, blos eine neue Epoche voll Unruhe, Unheil und nie zu erſtattenden Schadens anfing — und das alles ohne Schuld und meiſtens wi- der ſeinen Willen. Moͤnche und Fraͤnkiſche Prieſterhorden fuͤhr- ten, das Schwert in der einen, und das Kreuz in

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/18>, abgerufen am 19.04.2024.