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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Auge angesehen, andre die Naturlehre der
Alten in ihr studirt -- der philosophische
Dichter hauche in sie einen neuen poetischen
Sinn, daß sie reizen. Hier wäre am besten,
zu zeigen, wie ungestalt alles wird, wenn
man die Fabeln der Alten vorzeigt in ihren
Fellen, die die rauhe Seite nach oben tragen,
statt sie einzukehren; aber da käme es wie-
der auf das verwünschte Anführen schlechter
Exempel an, und das ist beschwerlich.

Endlich einen neuern Vorfall auf einen
alten zurück zu führen, in denselben ihn zu
kleiden, daß er von ihm Würde, Reich-
thum, Anstand
und Reiz borge: dies ist
das glückliche Kunststück unsers Rammlers,
in allen seinen Gedichten. -- Sein meister
Gebrauch der Mythologie ist hier Beyspiel,
obwohl mir noch der kleine Zweifel übrig
bleibt, ob seine Oden, ohne diese Mytholo-
gie, nicht uoch schöner seyn würden. Ein
dichterischer Kopf, wie er, der in Tempeln
und Pallästen ausgehölte Rücken der
Vorgebürge,
und in den Statuen der
Künstler,
die Steine Deukalions sieht,

wie
L 4

Auge angeſehen, andre die Naturlehre der
Alten in ihr ſtudirt — der philoſophiſche
Dichter hauche in ſie einen neuen poetiſchen
Sinn, daß ſie reizen. Hier waͤre am beſten,
zu zeigen, wie ungeſtalt alles wird, wenn
man die Fabeln der Alten vorzeigt in ihren
Fellen, die die rauhe Seite nach oben tragen,
ſtatt ſie einzukehren; aber da kaͤme es wie-
der auf das verwuͤnſchte Anfuͤhren ſchlechter
Exempel an, und das iſt beſchwerlich.

Endlich einen neuern Vorfall auf einen
alten zuruͤck zu fuͤhren, in denſelben ihn zu
kleiden, daß er von ihm Wuͤrde, Reich-
thum, Anſtand
und Reiz borge: dies iſt
das gluͤckliche Kunſtſtuͤck unſers Rammlers,
in allen ſeinen Gedichten. — Sein meiſter
Gebrauch der Mythologie iſt hier Beyſpiel,
obwohl mir noch der kleine Zweifel uͤbrig
bleibt, ob ſeine Oden, ohne dieſe Mytholo-
gie, nicht uoch ſchoͤner ſeyn wuͤrden. Ein
dichteriſcher Kopf, wie er, der in Tempeln
und Pallaͤſten ausgehoͤlte Ruͤcken der
Vorgebuͤrge,
und in den Statuen der
Kuͤnſtler,
die Steine Deukalions ſieht,

wie
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[167/0175] Auge angeſehen, andre die Naturlehre der Alten in ihr ſtudirt — der philoſophiſche Dichter hauche in ſie einen neuen poetiſchen Sinn, daß ſie reizen. Hier waͤre am beſten, zu zeigen, wie ungeſtalt alles wird, wenn man die Fabeln der Alten vorzeigt in ihren Fellen, die die rauhe Seite nach oben tragen, ſtatt ſie einzukehren; aber da kaͤme es wie- der auf das verwuͤnſchte Anfuͤhren ſchlechter Exempel an, und das iſt beſchwerlich. Endlich einen neuern Vorfall auf einen alten zuruͤck zu fuͤhren, in denſelben ihn zu kleiden, daß er von ihm Wuͤrde, Reich- thum, Anſtand und Reiz borge: dies iſt das gluͤckliche Kunſtſtuͤck unſers Rammlers, in allen ſeinen Gedichten. — Sein meiſter Gebrauch der Mythologie iſt hier Beyſpiel, obwohl mir noch der kleine Zweifel uͤbrig bleibt, ob ſeine Oden, ohne dieſe Mytholo- gie, nicht uoch ſchoͤner ſeyn wuͤrden. Ein dichteriſcher Kopf, wie er, der in Tempeln und Pallaͤſten ausgehoͤlte Ruͤcken der Vorgebuͤrge, und in den Statuen der Kuͤnſtler, die Steine Deukalions ſieht, wie L 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/175>, abgerufen am 21.11.2024.