man war selbst nach der Form solcher Denk- art gebildet: man hätte, wie Archimedes, einen Punkt außer der Welt haben müssen, um die ganze Welt zu bewegen.
Ein Vernünftiger geht also zu solchen Be- trachtungen über das Allgemeine mit einer Art von Blödigkeit: er gibt seine Aussichten für nichts als Erscheinungen an: er geber- det sich nicht wie auf einem Richterthrone in den Wolken des Himmels; er tritt aber auch nicht in eine Höhle, um mit knechtischer Be- wunderung heraufzublicken: sonst können frei- lich alle seine Beobachtungen, Gesichte eines verrückten Kopfs scheinen.
Aber er bittet seine Leser, als Freunde, auf einen benachbarten Hügel: entdeckt ihnen, was er gewahr wird: befragt sie um das Urtheil ihrer Augen; sehen sie nicht einerley, so wird der Weise über diese Verschiedenheit des Anblicks sich wundern, und das untersu- chen, woher der Jrrthum komme: aber schlechthin verlachen, oder für Thoren schel- ten, das thun nur die, so die Sprache des Kuckuks lieben. -- Wer je die Wahrheit ei-
ner
man war ſelbſt nach der Form ſolcher Denk- art gebildet: man haͤtte, wie Archimedes, einen Punkt außer der Welt haben muͤſſen, um die ganze Welt zu bewegen.
Ein Vernuͤnftiger geht alſo zu ſolchen Be- trachtungen uͤber das Allgemeine mit einer Art von Bloͤdigkeit: er gibt ſeine Ausſichten fuͤr nichts als Erſcheinungen an: er geber- det ſich nicht wie auf einem Richterthrone in den Wolken des Himmels; er tritt aber auch nicht in eine Hoͤhle, um mit knechtiſcher Be- wunderung heraufzublicken: ſonſt koͤnnen frei- lich alle ſeine Beobachtungen, Geſichte eines verruͤckten Kopfs ſcheinen.
Aber er bittet ſeine Leſer, als Freunde, auf einen benachbarten Huͤgel: entdeckt ihnen, was er gewahr wird: befragt ſie um das Urtheil ihrer Augen; ſehen ſie nicht einerley, ſo wird der Weiſe uͤber dieſe Verſchiedenheit des Anblicks ſich wundern, und das unterſu- chen, woher der Jrrthum komme: aber ſchlechthin verlachen, oder fuͤr Thoren ſchel- ten, das thun nur die, ſo die Sprache des Kuckuks lieben. — Wer je die Wahrheit ei-
ner
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0012"n="4"/>
man war ſelbſt nach der Form ſolcher Denk-<lb/>
art gebildet: man haͤtte, wie <hirendition="#fr">Archimedes,</hi><lb/>
einen Punkt außer der Welt haben muͤſſen,<lb/>
um die ganze Welt zu bewegen.</p><lb/><p>Ein Vernuͤnftiger geht alſo zu ſolchen Be-<lb/>
trachtungen uͤber das <hirendition="#fr">Allgemeine</hi> mit einer<lb/>
Art von Bloͤdigkeit: er gibt ſeine Ausſichten<lb/>
fuͤr nichts als <hirendition="#fr">Erſcheinungen</hi> an: er geber-<lb/>
det ſich nicht wie auf einem Richterthrone in<lb/>
den Wolken des Himmels; er tritt aber auch<lb/>
nicht in eine Hoͤhle, um mit knechtiſcher Be-<lb/>
wunderung heraufzublicken: ſonſt koͤnnen frei-<lb/>
lich alle ſeine Beobachtungen, Geſichte eines<lb/><hirendition="#fr">verruͤckten Kopfs</hi>ſcheinen.</p><lb/><p>Aber er bittet ſeine Leſer, als Freunde, auf<lb/>
einen benachbarten Huͤgel: entdeckt ihnen,<lb/>
was er gewahr wird: befragt ſie um das<lb/>
Urtheil ihrer Augen; ſehen ſie nicht einerley,<lb/>ſo wird der Weiſe uͤber dieſe Verſchiedenheit<lb/>
des Anblicks ſich wundern, und das unterſu-<lb/>
chen, woher der Jrrthum komme: aber<lb/>ſchlechthin verlachen, oder fuͤr Thoren ſchel-<lb/>
ten, das thun nur die, ſo die Sprache des<lb/>
Kuckuks lieben. —<hirendition="#fr">Wer je</hi> die Wahrheit ei-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ner</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[4/0012]
man war ſelbſt nach der Form ſolcher Denk-
art gebildet: man haͤtte, wie Archimedes,
einen Punkt außer der Welt haben muͤſſen,
um die ganze Welt zu bewegen.
Ein Vernuͤnftiger geht alſo zu ſolchen Be-
trachtungen uͤber das Allgemeine mit einer
Art von Bloͤdigkeit: er gibt ſeine Ausſichten
fuͤr nichts als Erſcheinungen an: er geber-
det ſich nicht wie auf einem Richterthrone in
den Wolken des Himmels; er tritt aber auch
nicht in eine Hoͤhle, um mit knechtiſcher Be-
wunderung heraufzublicken: ſonſt koͤnnen frei-
lich alle ſeine Beobachtungen, Geſichte eines
verruͤckten Kopfs ſcheinen.
Aber er bittet ſeine Leſer, als Freunde, auf
einen benachbarten Huͤgel: entdeckt ihnen,
was er gewahr wird: befragt ſie um das
Urtheil ihrer Augen; ſehen ſie nicht einerley,
ſo wird der Weiſe uͤber dieſe Verſchiedenheit
des Anblicks ſich wundern, und das unterſu-
chen, woher der Jrrthum komme: aber
ſchlechthin verlachen, oder fuͤr Thoren ſchel-
ten, das thun nur die, ſo die Sprache des
Kuckuks lieben. — Wer je die Wahrheit ei-
ner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/12>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.