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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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eine christliche Epopee zu machen -- fodert
noch mehr!

Rabbi. Nicht ganz aus sich hat er sie
ausgefüllet: die Heilige Geschichte liefert ja
dazu Stof gnug; ich wünschte also, daß er
diesen Stof mehr gebraucht hätte; auch ei-
nige Rabbinische Züge hat er glücklich anzu-
wenden gewußt und --

Christ. Nur nicht, daß diese Anwendung
auf Kosten seiner Originalerfindung gehe.
Auch aus Milton hat er Züge genommen:
wer sie aber so glücklich wie er nimmt, und
anwendet, hat sie selbst erfunden.

Rabbi. Wir scheinen ohngeachtet unsers
verschiedenen Gesichtpunktes so ziemlich ähn-
lich zu sehen; einmal haben sie schon mein:
ich wünschte! gehört, das zweitemal es
unterbrochen -- wollen wir uns nicht näher
unsre Zweifel sagen?

Christ. Eben das habe ich von Jhnen er-
wartet: bei einem Meßias muß man sich
nicht blos vergnügen, sondern auch unter-
richten. Dazu hat der Verfasser seine Ab-
handlung von der heiligen Poesie voraus-
geschickt.

Rabbi.

eine chriſtliche Epopee zu machen — fodert
noch mehr!

Rabbi. Nicht ganz aus ſich hat er ſie
ausgefuͤllet: die Heilige Geſchichte liefert ja
dazu Stof gnug; ich wuͤnſchte alſo, daß er
dieſen Stof mehr gebraucht haͤtte; auch ei-
nige Rabbiniſche Zuͤge hat er gluͤcklich anzu-
wenden gewußt und —

Chriſt. Nur nicht, daß dieſe Anwendung
auf Koſten ſeiner Originalerfindung gehe.
Auch aus Milton hat er Zuͤge genommen:
wer ſie aber ſo gluͤcklich wie er nimmt, und
anwendet, hat ſie ſelbſt erfunden.

Rabbi. Wir ſcheinen ohngeachtet unſers
verſchiedenen Geſichtpunktes ſo ziemlich aͤhn-
lich zu ſehen; einmal haben ſie ſchon mein:
ich wuͤnſchte! gehoͤrt, das zweitemal es
unterbrochen — wollen wir uns nicht naͤher
unſre Zweifel ſagen?

Chriſt. Eben das habe ich von Jhnen er-
wartet: bei einem Meßias muß man ſich
nicht blos vergnuͤgen, ſondern auch unter-
richten. Dazu hat der Verfaſſer ſeine Ab-
handlung von der heiligen Poeſie voraus-
geſchickt.

Rabbi.
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[244/0076] eine chriſtliche Epopee zu machen — fodert noch mehr! Rabbi. Nicht ganz aus ſich hat er ſie ausgefuͤllet: die Heilige Geſchichte liefert ja dazu Stof gnug; ich wuͤnſchte alſo, daß er dieſen Stof mehr gebraucht haͤtte; auch ei- nige Rabbiniſche Zuͤge hat er gluͤcklich anzu- wenden gewußt und — Chriſt. Nur nicht, daß dieſe Anwendung auf Koſten ſeiner Originalerfindung gehe. Auch aus Milton hat er Zuͤge genommen: wer ſie aber ſo gluͤcklich wie er nimmt, und anwendet, hat ſie ſelbſt erfunden. Rabbi. Wir ſcheinen ohngeachtet unſers verſchiedenen Geſichtpunktes ſo ziemlich aͤhn- lich zu ſehen; einmal haben ſie ſchon mein: ich wuͤnſchte! gehoͤrt, das zweitemal es unterbrochen — wollen wir uns nicht naͤher unſre Zweifel ſagen? Chriſt. Eben das habe ich von Jhnen er- wartet: bei einem Meßias muß man ſich nicht blos vergnuͤgen, ſondern auch unter- richten. Dazu hat der Verfaſſer ſeine Ab- handlung von der heiligen Poeſie voraus- geſchickt. Rabbi.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/76>, abgerufen am 21.11.2024.