Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.Leser, gegen Schriftsteller, und gegen das Dem Leser erst Diener, denn Vertrauter, Dem Leser sezzet er die Speisen in ihrer hig-
Leſer, gegen Schriftſteller, und gegen das Dem Leſer erſt Diener, denn Vertrauter, Dem Leſer ſezzet er die Speiſen in ihrer hig-
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Leſer, gegen Schriftſteller, und gegen das
ganze Reich der Litteratur uͤberhaupt.
Dem Leſer erſt Diener, denn Vertrauter,
denn Arzt. Dem Schriftſteller erſt Diener,
denn Freund, denn Richter; und der ganzen
Litteratur entweder als Schmelzer, oder als
Handlanger, oder als Baumeiſter ſelbſt.
Dem Leſer ſezzet er die Speiſen in ihrer
Luͤſternheit und Anmuth vor, und ſucht durch
ſeinen eigenen Appetit ihren Geſchmack zu
erregen: dies ſind die Auszuͤge, die gemei-
nen Tagebuͤcher. Der Leſer iſt ſchwach im
Verdauen; er gibt ihm Wein zur Staͤrkung;
er hat einen verdorbnen Geſchmack; daher
braucht er jezt ordentliche Cur. Dies ſind
die Kritiſchen Anmerkungen, die dem Leſer
Geſichtspunkte (im Leſen darlegen, die ihm)
Erlaͤuterungen, Pruͤfungen, Anwendungen
darlegen — und dieſes Talent gehoͤrt immer
nothwendig zum wahren Kritiſchen Geiſt.
Du ſchreibſt, als wenn du fuͤr dich ſchriebeſt:
nein! Kunſtrichter! du ſchreibſt fuͤr Leſer:
dieſe nie aus den Augen zu laſſen, dich nach
ihren Schwaͤchen, nicht aber Fehlern zu be-
quemen, dich nach der Verſchiedenheit ihrer Få-
hig-
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