"geln bekannt, und das Schlechte verächtlich "gemacht worden. Denn der Geist und der "Geschmack einer Nation sind nicht unter "ihren Gelehrten und Leuten von vornehmer "Erziehung zu suchen. Diese beiden Ge- "schlechter gehören gleichsam keinem Lande "eigen. Aber unter dem Theile der Nation lie- "gen sie, der von fremden Sitten und Gebräu- "chen und Kenntnissen noch nichts zur Nach- "ahmung sich bekannt gemacht hat." Das ist nun Gellert in Absicht des Geschmacks -- aber was war Homer in Absicht der Religion, der Künstler, der Dichter, der Redner, der Weisen, der Sprache, der Sitten, der Erziehung, für die kalous k'agathous der Griechen?
Dies böse Griechische Wort verfolgt mich, so sehr ich vor ihm fliehe, und mein Knoten ist nicht eher aufgelöset, bis es bestimmt ist. Denn so fragt der Kunstrichter:* "Jst es wahr, "daß die alten Griechen ihre Jugend aus "dem Homer Weisheit lehrten? Und wurde "Homer auch nur von allen denen verstan- "den, welchen das Beiwort kaloi k'agathoi
"zukam?
* Litter. Br. Th. 1. p. 46.
„geln bekannt, und das Schlechte veraͤchtlich „gemacht worden. Denn der Geiſt und der „Geſchmack einer Nation ſind nicht unter „ihren Gelehrten und Leuten von vornehmer „Erziehung zu ſuchen. Dieſe beiden Ge- „ſchlechter gehoͤren gleichſam keinem Lande „eigen. Aber unter dem Theile der Nation lie- „gen ſie, der von fremden Sitten und Gebraͤu- „chen und Kenntniſſen noch nichts zur Nach- „ahmung ſich bekannt gemacht hat.„ Das iſt nun Gellert in Abſicht des Geſchmacks — aber was war Homer in Abſicht der Religion, der Kuͤnſtler, der Dichter, der Redner, der Weiſen, der Sprache, der Sitten, der Erziehung, fuͤr die καλους κ’αγαϑους der Griechen?
Dies boͤſe Griechiſche Wort verfolgt mich, ſo ſehr ich vor ihm fliehe, und mein Knoten iſt nicht eher aufgeloͤſet, bis es beſtimmt iſt. Denn ſo fragt der Kunſtrichter:* „Jſt es wahr, „daß die alten Griechen ihre Jugend aus „dem Homer Weisheit lehrten? Und wurde „Homer auch nur von allen denen verſtan- „den, welchen das Beiwort καλοι κ’αγαϑοι
„zukam?
* Litter. Br. Th. 1. p. 46.
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„gemacht worden. Denn der Geiſt und der
„Geſchmack einer Nation ſind nicht unter
„ihren Gelehrten und Leuten von vornehmer
„Erziehung zu ſuchen. Dieſe beiden Ge-
„ſchlechter gehoͤren gleichſam keinem Lande
„eigen. Aber unter dem Theile der Nation lie-
„gen ſie, der von fremden Sitten und Gebraͤu-
„chen und Kenntniſſen noch nichts zur Nach-
„ahmung ſich bekannt gemacht hat.„ Das
iſt nun Gellert in Abſicht des Geſchmacks —
aber was war Homer in Abſicht der Religion,
der Kuͤnſtler, der Dichter, der Redner,
der Weiſen, der Sprache, der Sitten,
der Erziehung, fuͤr die καλους κ’αγαϑους
der Griechen?
Dies boͤſe Griechiſche Wort verfolgt mich,
ſo ſehr ich vor ihm fliehe, und mein Knoten
iſt nicht eher aufgeloͤſet, bis es beſtimmt iſt.
Denn ſo fragt der Kunſtrichter: * „Jſt es wahr,
„daß die alten Griechen ihre Jugend aus
„dem Homer Weisheit lehrten? Und wurde
„Homer auch nur von allen denen verſtan-
„den, welchen das Beiwort καλοι κ’αγαϑοι
„zukam?
* Litter. Br. Th. 1. p. 46.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/120>, abgerufen am 16.02.2025.
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