Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

hätten aedus, ircus (statt haedus, hircus)
gesprochen: man hätte aus dem Griechischen
aber das H dazu genommen: ja, wenn man
das Catullische Epigramm kennet, das über
hinsidias und hionios (statt insidias und
ionios) spottet: so weiß man, daß die Klein-
meister von lieblichem Ton ihn endlich zu all-
gemein auch bei den sanften Vokalen, die ihn
nicht nöthig hatten, machen wollten. Cicero
ärgert sich, daß er dem Volk zu gefallen,
pulcher und triumphus, statt pulcer und
triumpus aussprechen müste, und Quinti-
lian
ärgert sich, daß man schon ausschweif-
te, um chorona und praecho zu schreiben. *

Die
* Hier im Vorbeigehen eine kleine Schulanmer-
kung, die unsrer neuen Orthographie nöthig ist.
Die Alten hatten sich so in das H verliebt,
daß sie es gerne sprachen, selbst wo sie es nicht
schreiben dorften, und auch nicht schrieben.
Uns neuern ist so wenig an diesem Musikali-
schen Buchstaben gelegen, daß wir ihn im Schrei-
ben so gern wegwerfen, da wo wir ihn doch
nothwendig, und insonderheit bei einsylbigen
Wörtern sehr unterscheidend sprechen müssen.
Die Orthographie des Denso und vieler an-
dern ist mir also unausstehlich: die bewonen,
Lon, Son
schreiben: bald wird man also auch
Geen
(statt geben), aben statt haben, und An,
statt

haͤtten aedus, ircus (ſtatt haedus, hircus)
geſprochen: man haͤtte aus dem Griechiſchen
aber das H dazu genommen: ja, wenn man
das Catulliſche Epigramm kennet, das uͤber
hinſidias und hionios (ſtatt inſidias und
ionios) ſpottet: ſo weiß man, daß die Klein-
meiſter von lieblichem Ton ihn endlich zu all-
gemein auch bei den ſanften Vokalen, die ihn
nicht noͤthig hatten, machen wollten. Cicero
aͤrgert ſich, daß er dem Volk zu gefallen,
pulcher und triumphus, ſtatt pulcer und
triumpus ausſprechen muͤſte, und Quinti-
lian
aͤrgert ſich, daß man ſchon ausſchweif-
te, um chorona und praecho zu ſchreiben. *

Die
* Hier im Vorbeigehen eine kleine Schulanmer-
kung, die unſrer neuen Orthographie noͤthig iſt.
Die Alten hatten ſich ſo in das H verliebt,
daß ſie es gerne ſprachen, ſelbſt wo ſie es nicht
ſchreiben dorften, und auch nicht ſchrieben.
Uns neuern iſt ſo wenig an dieſem Muſikali-
ſchen Buchſtaben gelegen, daß wir ihn im Schrei-
ben ſo gern wegwerfen, da wo wir ihn doch
nothwendig, und inſonderheit bei einſylbigen
Woͤrtern ſehr unterſcheidend ſprechen muͤſſen.
Die Orthographie des Denſo und vieler an-
dern iſt mir alſo unausſtehlich: die bewonen,
Lon, Son
ſchreiben: bald wird man alſo auch
Geen
(ſtatt geben), aben ſtatt haben, und An,
ſtatt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0096" n="92"/>
ha&#x0364;tten <hi rendition="#aq">aedus, ircus</hi> (&#x017F;tatt <hi rendition="#aq">haedus, hircus</hi>)<lb/>
ge&#x017F;prochen: man ha&#x0364;tte aus dem Griechi&#x017F;chen<lb/>
aber das H dazu genommen: ja, wenn man<lb/>
das Catulli&#x017F;che Epigramm kennet, das u&#x0364;ber<lb/><hi rendition="#aq">hin&#x017F;idias</hi> und <hi rendition="#aq">hionios</hi> (&#x017F;tatt <hi rendition="#aq">in&#x017F;idias</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">ionios</hi>) &#x017F;pottet: &#x017F;o weiß man, daß die Klein-<lb/>
mei&#x017F;ter von lieblichem Ton ihn endlich zu all-<lb/>
gemein auch bei den &#x017F;anften Vokalen, die ihn<lb/>
nicht no&#x0364;thig hatten, machen wollten. <hi rendition="#fr">Cicero</hi><lb/>
a&#x0364;rgert &#x017F;ich, daß er dem Volk zu gefallen,<lb/><hi rendition="#aq">pulcher</hi> und <hi rendition="#aq">triumphus,</hi> &#x017F;tatt <hi rendition="#aq">pulcer</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">triumpus</hi> aus&#x017F;prechen mu&#x0364;&#x017F;te, und <hi rendition="#fr">Quinti-<lb/>
lian</hi> a&#x0364;rgert &#x017F;ich, daß man &#x017F;chon aus&#x017F;chweif-<lb/>
te, um <hi rendition="#aq">chorona</hi> und <hi rendition="#aq">praecho</hi> zu &#x017F;chreiben. <note xml:id="seg2pn_1_1" next="#seg2pn_1_2" place="foot" n="*">Hier im Vorbeigehen eine kleine Schulanmer-<lb/>
kung, die un&#x017F;rer neuen Orthographie no&#x0364;thig i&#x017F;t.<lb/>
Die Alten hatten &#x017F;ich &#x017F;o in das H verliebt,<lb/>
daß &#x017F;ie es gerne &#x017F;prachen, &#x017F;elb&#x017F;t wo &#x017F;ie es nicht<lb/>
&#x017F;chreiben <hi rendition="#fr">dorften,</hi> und auch nicht &#x017F;chrieben.<lb/>
Uns neuern i&#x017F;t &#x017F;o wenig an die&#x017F;em Mu&#x017F;ikali-<lb/>
&#x017F;chen Buch&#x017F;taben gelegen, daß wir ihn im Schrei-<lb/>
ben &#x017F;o gern wegwerfen, da wo wir ihn doch<lb/>
nothwendig, und in&#x017F;onderheit bei <hi rendition="#fr">ein&#x017F;ylbigen</hi><lb/>
Wo&#x0364;rtern &#x017F;ehr unter&#x017F;cheidend &#x017F;prechen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Die Orthographie des <hi rendition="#fr">Den&#x017F;o</hi> und vieler an-<lb/>
dern i&#x017F;t mir al&#x017F;o unaus&#x017F;tehlich: die <hi rendition="#fr">bewonen,<lb/>
Lon, Son</hi> &#x017F;chreiben: bald wird man al&#x017F;o <hi rendition="#fr">auch<lb/>
Geen</hi> (&#x017F;tatt geben), aben &#x017F;tatt haben, und An,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tatt</fw></note><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0096] haͤtten aedus, ircus (ſtatt haedus, hircus) geſprochen: man haͤtte aus dem Griechiſchen aber das H dazu genommen: ja, wenn man das Catulliſche Epigramm kennet, das uͤber hinſidias und hionios (ſtatt inſidias und ionios) ſpottet: ſo weiß man, daß die Klein- meiſter von lieblichem Ton ihn endlich zu all- gemein auch bei den ſanften Vokalen, die ihn nicht noͤthig hatten, machen wollten. Cicero aͤrgert ſich, daß er dem Volk zu gefallen, pulcher und triumphus, ſtatt pulcer und triumpus ausſprechen muͤſte, und Quinti- lian aͤrgert ſich, daß man ſchon ausſchweif- te, um chorona und praecho zu ſchreiben. * Die * Hier im Vorbeigehen eine kleine Schulanmer- kung, die unſrer neuen Orthographie noͤthig iſt. Die Alten hatten ſich ſo in das H verliebt, daß ſie es gerne ſprachen, ſelbſt wo ſie es nicht ſchreiben dorften, und auch nicht ſchrieben. Uns neuern iſt ſo wenig an dieſem Muſikali- ſchen Buchſtaben gelegen, daß wir ihn im Schrei- ben ſo gern wegwerfen, da wo wir ihn doch nothwendig, und inſonderheit bei einſylbigen Woͤrtern ſehr unterſcheidend ſprechen muͤſſen. Die Orthographie des Denſo und vieler an- dern iſt mir alſo unausſtehlich: die bewonen, Lon, Son ſchreiben: bald wird man alſo auch Geen (ſtatt geben), aben ſtatt haben, und An, ſtatt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/96
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/96>, abgerufen am 21.11.2024.