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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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daß die Cadence, in der man die Verse aus-
sprach, oder nach dem Ausdrucke der Alten
sang, den Gang eines Hexameters aus-
halten
konnte. Und dieser war also das
gewählteste Sylbenmaas, das die meiste Har-
monie in sich schloß, das so genau in ihrer
Sprache lag, als die Jamben unserm Ge-
sange natürlich werden, und das ihrem Ohr
und ihrer Kehle am gemäßesten war, weil ih-
re Melodie im Gesange, und Deklama-
tion
des gemeinen Lebens eine höhere Ton-
leiter auf und nieder stieg, als unsere. Aber
wir reden mit wenigern Accenten monoto-
nischer,
man mag es fließend oder schleichend
nennen; wir sind also an die Mensur eines
Hexameters nicht gewöhnt. Gebet einem
guten gesunden Verstande ohne Schulweisheit,
Jamben, Daktylen und Trochäen zu lesen;
er wird sogleich, wenn sie gut sind, scandiren;
gebet ihm einen gemischten Hexameter -- er
wird nicht damit fortkommen. Höret den Ca-
deneen
bei dem Gesange der Kinder und der Nar-
ren zu; sie sind nie Polymetrisch; oder wenn
ihr darüber lacht; so geht unter die Bauern,
gebt auf die ältesten Kirchenlieder acht; ihre

Fall-
E 2

daß die Cadence, in der man die Verſe aus-
ſprach, oder nach dem Ausdrucke der Alten
ſang, den Gang eines Hexameters aus-
halten
konnte. Und dieſer war alſo das
gewaͤhlteſte Sylbenmaas, das die meiſte Har-
monie in ſich ſchloß, das ſo genau in ihrer
Sprache lag, als die Jamben unſerm Ge-
ſange natuͤrlich werden, und das ihrem Ohr
und ihrer Kehle am gemaͤßeſten war, weil ih-
re Melodie im Geſange, und Deklama-
tion
des gemeinen Lebens eine hoͤhere Ton-
leiter auf und nieder ſtieg, als unſere. Aber
wir reden mit wenigern Accenten monoto-
niſcher,
man mag es fließend oder ſchleichend
nennen; wir ſind alſo an die Menſur eines
Hexameters nicht gewoͤhnt. Gebet einem
guten geſunden Verſtande ohne Schulweisheit,
Jamben, Daktylen und Trochaͤen zu leſen;
er wird ſogleich, wenn ſie gut ſind, ſcandiren;
gebet ihm einen gemiſchten Hexameter — er
wird nicht damit fortkommen. Hoͤret den Ca-
deneen
bei dem Geſange der Kinder und der Nar-
ren zu; ſie ſind nie Polymetriſch; oder wenn
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gebt auf die aͤlteſten Kirchenlieder acht; ihre

Fall-
E 2
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[67/0071] daß die Cadence, in der man die Verſe aus- ſprach, oder nach dem Ausdrucke der Alten ſang, den Gang eines Hexameters aus- halten konnte. Und dieſer war alſo das gewaͤhlteſte Sylbenmaas, das die meiſte Har- monie in ſich ſchloß, das ſo genau in ihrer Sprache lag, als die Jamben unſerm Ge- ſange natuͤrlich werden, und das ihrem Ohr und ihrer Kehle am gemaͤßeſten war, weil ih- re Melodie im Geſange, und Deklama- tion des gemeinen Lebens eine hoͤhere Ton- leiter auf und nieder ſtieg, als unſere. Aber wir reden mit wenigern Accenten monoto- niſcher, man mag es fließend oder ſchleichend nennen; wir ſind alſo an die Menſur eines Hexameters nicht gewoͤhnt. Gebet einem guten geſunden Verſtande ohne Schulweisheit, Jamben, Daktylen und Trochaͤen zu leſen; er wird ſogleich, wenn ſie gut ſind, ſcandiren; gebet ihm einen gemiſchten Hexameter — er wird nicht damit fortkommen. Hoͤret den Ca- deneen bei dem Geſange der Kinder und der Nar- ren zu; ſie ſind nie Polymetriſch; oder wenn ihr daruͤber lacht; ſo geht unter die Bauern, gebt auf die aͤlteſten Kirchenlieder acht; ihre Fall- E 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/71>, abgerufen am 24.11.2024.