wie überhaupt in ihrem Lande sich die alten Moden und Gebräuche länger erhalten, da sie durch die Alpen, und den Helvetischen Na- tionalstolz von den Fremden getrennet sind: so ist ihre Sprache auch der alten Deutschen Einfalt treuer geblieben. Sie haben unstrei- tig manches übertrieben; das übertriebene wird freilich durch den Harlekin am besten ausgedruckt; und ausgelacht hat man sie zur Gnüge; aber ihr Gutes ist noch zu wenig geprüft. Die Gottschedianer haben ihre Machtwörter, ihre Jnversionen so ziemlich in ihren Pasquillen gesammlet; jetzt ist die Hitze des Streits verflogen, nun sollte man nicht mehr lachen, sondern prüfen. Hätte der patriarchische Bodmer auch kein andres Verdienst -- wie hoch hat man Ramlern und Leßingen ihren Logau angerechnet; -- und aus den alten Schwäbischen Poesien ist doch, meinem Erachten nach, wenigstens in der Sprache weit mehr zu lernen, als aus Logau. Nur freilich sollten die Schweizer auch mehr Mühe sich dabei gegeben haben, die Jdiotis- men zu zeigen, zu prüfen, und kritisch einzu- führen. Wenn sie auch diese Wörter verste-
hen;
wie uͤberhaupt in ihrem Lande ſich die alten Moden und Gebraͤuche laͤnger erhalten, da ſie durch die Alpen, und den Helvetiſchen Na- tionalſtolz von den Fremden getrennet ſind: ſo iſt ihre Sprache auch der alten Deutſchen Einfalt treuer geblieben. Sie haben unſtrei- tig manches uͤbertrieben; das uͤbertriebene wird freilich durch den Harlekin am beſten ausgedruckt; und ausgelacht hat man ſie zur Gnuͤge; aber ihr Gutes iſt noch zu wenig gepruͤft. Die Gottſchedianer haben ihre Machtwoͤrter, ihre Jnverſionen ſo ziemlich in ihren Pasquillen geſammlet; jetzt iſt die Hitze des Streits verflogen, nun ſollte man nicht mehr lachen, ſondern pruͤfen. Haͤtte der patriarchiſche Bodmer auch kein andres Verdienſt — wie hoch hat man Ramlern und Leßingen ihren Logau angerechnet; — und aus den alten Schwaͤbiſchen Poeſien iſt doch, meinem Erachten nach, wenigſtens in der Sprache weit mehr zu lernen, als aus Logau. Nur freilich ſollten die Schweizer auch mehr Muͤhe ſich dabei gegeben haben, die Jdiotis- men zu zeigen, zu pruͤfen, und kritiſch einzu- fuͤhren. Wenn ſie auch dieſe Woͤrter verſte-
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wie uͤberhaupt in ihrem Lande ſich die alten
Moden und Gebraͤuche laͤnger erhalten, da ſie
durch die Alpen, und den Helvetiſchen Na-
tionalſtolz von den Fremden getrennet ſind:
ſo iſt ihre Sprache auch der alten Deutſchen
Einfalt treuer geblieben. Sie haben unſtrei-
tig manches uͤbertrieben; das uͤbertriebene
wird freilich durch den Harlekin am beſten
ausgedruckt; und ausgelacht hat man ſie zur
Gnuͤge; aber ihr Gutes iſt noch zu wenig
gepruͤft. Die Gottſchedianer haben ihre
Machtwoͤrter, ihre Jnverſionen ſo ziemlich
in ihren Pasquillen geſammlet; jetzt iſt die
Hitze des Streits verflogen, nun ſollte man
nicht mehr lachen, ſondern pruͤfen. Haͤtte
der patriarchiſche Bodmer auch kein andres
Verdienſt — wie hoch hat man Ramlern
und Leßingen ihren Logau angerechnet; —
und aus den alten Schwaͤbiſchen Poeſien iſt
doch, meinem Erachten nach, wenigſtens in der
Sprache weit mehr zu lernen, als aus Logau.
Nur freilich ſollten die Schweizer auch mehr
Muͤhe ſich dabei gegeben haben, die Jdiotis-
men zu zeigen, zu pruͤfen, und kritiſch einzu-
fuͤhren. Wenn ſie auch dieſe Woͤrter verſte-
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/52>, abgerufen am 16.02.2025.
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