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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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nicht unbillig: "soll ich bei ihrem großen
"Glücke einen Vorzugstitel für sie ausfinden:
"so würde ich ihn in einer gewissen Gleichung
"mittelmäßiger Eigenschaften suchen. Richt
"so sanft, als die Jtaliänische; nicht so
"majestätisch, als die Spanische; weniger
"zusammengedrängt, als die Englische; an
"Nachdruck weit unter der Deutschen; an
"Reichthum, an Ueberfluß fast unter jeder
"Sprache Europens; hat sie doch bei ihrer
"Armuth, Mittel, Nachdruck, Kürze, Maje-
"stät und Süßigkeit gnug, um ein sehr
"schäzbares Werkzeug der menschlichen Ge-
"danken zu seyn. Jnsonderheit legt die Klar-
"heit und Politesse/ die sie karakterisiren,
"ihr großen Werth bei." So wie nun ein
hübscher, artiger Mensch, deutlich und ver-
nünftig in Gesprächen, im Umgange mehr
gelitten wird, als ein tiefsinniger, stiller Mann,
so hat auch die Französische Sprache für der
Deutschen sich das Lob des Verstandes geben
lassen, da die unsrige sich den Titel einer
Sprache der Vernunft anmaassen könnte.

"Stellt eine Philosophische Materie, die
"ungefähr mit gleicher Genauigkeit in zwo

"Sprachen

nicht unbillig: „ſoll ich bei ihrem großen
„Gluͤcke einen Vorzugstitel fuͤr ſie ausfinden:
„ſo wuͤrde ich ihn in einer gewiſſen Gleichung
„mittelmaͤßiger Eigenſchaften ſuchen. Richt
„ſo ſanft, als die Jtaliaͤniſche; nicht ſo
„majeſtaͤtiſch, als die Spaniſche; weniger
„zuſammengedraͤngt, als die Engliſche; an
„Nachdruck weit unter der Deutſchen; an
„Reichthum, an Ueberfluß faſt unter jeder
„Sprache Europens; hat ſie doch bei ihrer
„Armuth, Mittel, Nachdruck, Kuͤrze, Maje-
„ſtaͤt und Suͤßigkeit gnug, um ein ſehr
„ſchaͤzbares Werkzeug der menſchlichen Ge-
„danken zu ſeyn. Jnſonderheit legt die Klar-
„heit und Politeſſe/ die ſie karakteriſiren,
„ihr großen Werth bei.„ So wie nun ein
huͤbſcher, artiger Menſch, deutlich und ver-
nuͤnftig in Geſpraͤchen, im Umgange mehr
gelitten wird, als ein tiefſinniger, ſtiller Mann,
ſo hat auch die Franzoͤſiſche Sprache fuͤr der
Deutſchen ſich das Lob des Verſtandes geben
laſſen, da die unſrige ſich den Titel einer
Sprache der Vernunft anmaaſſen koͤnnte.

„Stellt eine Philoſophiſche Materie, die
„ungefaͤhr mit gleicher Genauigkeit in zwo

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[174/0178] nicht unbillig: „ſoll ich bei ihrem großen „Gluͤcke einen Vorzugstitel fuͤr ſie ausfinden: „ſo wuͤrde ich ihn in einer gewiſſen Gleichung „mittelmaͤßiger Eigenſchaften ſuchen. Richt „ſo ſanft, als die Jtaliaͤniſche; nicht ſo „majeſtaͤtiſch, als die Spaniſche; weniger „zuſammengedraͤngt, als die Engliſche; an „Nachdruck weit unter der Deutſchen; an „Reichthum, an Ueberfluß faſt unter jeder „Sprache Europens; hat ſie doch bei ihrer „Armuth, Mittel, Nachdruck, Kuͤrze, Maje- „ſtaͤt und Suͤßigkeit gnug, um ein ſehr „ſchaͤzbares Werkzeug der menſchlichen Ge- „danken zu ſeyn. Jnſonderheit legt die Klar- „heit und Politeſſe/ die ſie karakteriſiren, „ihr großen Werth bei.„ So wie nun ein huͤbſcher, artiger Menſch, deutlich und ver- nuͤnftig in Geſpraͤchen, im Umgange mehr gelitten wird, als ein tiefſinniger, ſtiller Mann, ſo hat auch die Franzoͤſiſche Sprache fuͤr der Deutſchen ſich das Lob des Verſtandes geben laſſen, da die unſrige ſich den Titel einer Sprache der Vernunft anmaaſſen koͤnnte. „Stellt eine Philoſophiſche Materie, die „ungefaͤhr mit gleicher Genauigkeit in zwo „Sprachen

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/178>, abgerufen am 25.11.2024.