Die Schriftsteller des ernsten Helvetiens, Sveviens, und Frankenlandes müssen in dem Toil ihrer Vaterstadt schreiben, und nicht wie die Menschenkinder in ganz Deutschland. Jn religiösen Gesprächen, vornehmlich wenn sie im Reiche der Todten sind, in Spartanischen Betrachtungen über die Lykurgische Gesezge- bung, darf sich der Verfasser freilich nur de- nen verständlich machen, die ihn verstehen sollten (nicht wollten; hier liegts nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern am Prädestinirten Sollen). So erscheint die Py- thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die Haare sträuben sich: der Mund murmelt Worte, nur denen verständlich, die sie ver- stehen sollten:
Obscurum verborum ambage novorum Ter nouies carmen magico de murmurat ore.
Jndessen, wir arme, ungeweihete Leser! denken, als logodeou menoi über diese Dun- kelheit folgendes:
Entweder es ist ein eigensinniger Zwang, gründlich zu scheinen, wie jenes Pferd die Epilepsie bekam, um ein Elendthier zu wer-
den,
Die Schriftſteller des ernſten Helvetiens, Sveviens, und Frankenlandes muͤſſen in dem Toil ihrer Vaterſtadt ſchreiben, und nicht wie die Menſchenkinder in ganz Deutſchland. Jn religioͤſen Geſpraͤchen, vornehmlich wenn ſie im Reiche der Todten ſind, in Spartaniſchen Betrachtungen uͤber die Lykurgiſche Geſezge- bung, darf ſich der Verfaſſer freilich nur de- nen verſtaͤndlich machen, die ihn verſtehen ſollten (nicht wollten; hier liegts nicht an jemandes Wollen oder Laufen, ſondern am Praͤdeſtinirten Sollen). So erſcheint die Py- thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die Haare ſtraͤuben ſich: der Mund murmelt Worte, nur denen verſtaͤndlich, die ſie ver- ſtehen ſollten:
Obſcurum verborum ambage novorum Ter nouies carmen magico de murmurat ore.
Jndeſſen, wir arme, ungeweihete Leſer! denken, als λογωδεου μενοι uͤber dieſe Dun- kelheit folgendes:
Entweder es iſt ein eigenſinniger Zwang, gruͤndlich zu ſcheinen, wie jenes Pferd die Epilepſie bekam, um ein Elendthier zu wer-
den,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0140"n="136"/><p>Die Schriftſteller des ernſten Helvetiens,<lb/>
Sveviens, und Frankenlandes muͤſſen in dem<lb/>
Toil ihrer Vaterſtadt ſchreiben, und nicht wie<lb/>
die Menſchenkinder in ganz Deutſchland. Jn<lb/>
religioͤſen Geſpraͤchen, vornehmlich wenn ſie<lb/>
im Reiche der Todten ſind, in Spartaniſchen<lb/>
Betrachtungen uͤber die Lykurgiſche Geſezge-<lb/>
bung, darf ſich der Verfaſſer freilich nur de-<lb/>
nen verſtaͤndlich machen, die ihn verſtehen<lb/><hirendition="#fr">ſollten</hi> (nicht wollten; hier liegts nicht an<lb/>
jemandes Wollen oder Laufen, ſondern am<lb/>
Praͤdeſtinirten <hirendition="#fr">Sollen).</hi> So erſcheint die Py-<lb/>
thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die<lb/>
Haare ſtraͤuben ſich: der Mund murmelt<lb/>
Worte, nur denen verſtaͤndlich, die ſie ver-<lb/>ſtehen ſollten:</p><lb/><cit><quote><lgtype="poem"><l><hirendition="#aq">Obſcurum verborum ambage novorum</hi></l><lb/><l><hirendition="#aq">Ter nouies carmen magico de murmurat ore.</hi></l></lg></quote><bibl/></cit><lb/><p>Jndeſſen, wir arme, ungeweihete Leſer!<lb/>
denken, als λογωδεουμενοι uͤber dieſe Dun-<lb/>
kelheit folgendes:</p><lb/><p>Entweder es iſt ein eigenſinniger Zwang,<lb/>
gruͤndlich zu ſcheinen, wie jenes Pferd die<lb/>
Epilepſie bekam, um ein Elendthier zu wer-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">den,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[136/0140]
Die Schriftſteller des ernſten Helvetiens,
Sveviens, und Frankenlandes muͤſſen in dem
Toil ihrer Vaterſtadt ſchreiben, und nicht wie
die Menſchenkinder in ganz Deutſchland. Jn
religioͤſen Geſpraͤchen, vornehmlich wenn ſie
im Reiche der Todten ſind, in Spartaniſchen
Betrachtungen uͤber die Lykurgiſche Geſezge-
bung, darf ſich der Verfaſſer freilich nur de-
nen verſtaͤndlich machen, die ihn verſtehen
ſollten (nicht wollten; hier liegts nicht an
jemandes Wollen oder Laufen, ſondern am
Praͤdeſtinirten Sollen). So erſcheint die Py-
thiße, in einer heiligen Rauchwolke: die
Haare ſtraͤuben ſich: der Mund murmelt
Worte, nur denen verſtaͤndlich, die ſie ver-
ſtehen ſollten:
Obſcurum verborum ambage novorum
Ter nouies carmen magico de murmurat ore.
Jndeſſen, wir arme, ungeweihete Leſer!
denken, als λογωδεου μενοι uͤber dieſe Dun-
kelheit folgendes:
Entweder es iſt ein eigenſinniger Zwang,
gruͤndlich zu ſcheinen, wie jenes Pferd die
Epilepſie bekam, um ein Elendthier zu wer-
den,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/140>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.