Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber wie? leidet nicht die Philosophische
Sprache der Deutschen darunter? Was das
anbetrift: so fühlen wir weit eher Fesseln in
der Dichterischen, als Philosophischen Sprache;
auch wir fühlen es: "daß wir eine Menge
"besonderer Zwecke gar nicht durch die ordent-
"liche Wortfügung anzeigen können; die wir
"nur müssen aus dem Zusammenhange errathen
"lassen." Unvollkommenheit unsrer Sprache
von der sinnlichen Seite; aber voll der Seite
der Vernunft?"

"Zur Weltweisheit * scheint die Deutsche
"Sprache, mehr als irgend eine von den le-
"bendigen Sprachen, ausgebildet zu seyn. Sie
"ist bestimmt und reich genug, die feinsten
"Gedanken des Metaphysikers in ihrer nack-
"ten Schönheit vorzutragen, und von der
"andern Seite nachdrücklich und bilderreich
"genug, die abgezogensten Lehren durch den
"Schmuck der Dichtkunst zu beleben. Je-
"nes hat sie Wolfen und dieses Hallern zu
"danken. Zwei solche Schriftsteller sind genug,
"einer Sprache von einer gewissen Seite die
"gehörige Ausbildung zu geben. Die Na-

"tion
* Th. 7. p. 163.

Aber wie? leidet nicht die Philoſophiſche
Sprache der Deutſchen darunter? Was das
anbetrift: ſo fuͤhlen wir weit eher Feſſeln in
der Dichteriſchen, als Philoſophiſchen Sprache;
auch wir fuͤhlen es: „daß wir eine Menge
„beſonderer Zwecke gar nicht durch die ordent-
„liche Wortfuͤgung anzeigen koͤnnen; die wir
„nur muͤſſen aus dem Zuſammenhange errathen
„laſſen.„ Unvollkommenheit unſrer Sprache
von der ſinnlichen Seite; aber voll der Seite
der Vernunft?„

„Zur Weltweisheit * ſcheint die Deutſche
„Sprache, mehr als irgend eine von den le-
„bendigen Sprachen, ausgebildet zu ſeyn. Sie
„iſt beſtimmt und reich genug, die feinſten
„Gedanken des Metaphyſikers in ihrer nack-
„ten Schoͤnheit vorzutragen, und von der
„andern Seite nachdruͤcklich und bilderreich
„genug, die abgezogenſten Lehren durch den
„Schmuck der Dichtkunſt zu beleben. Je-
„nes hat ſie Wolfen und dieſes Hallern zu
„danken. Zwei ſolche Schriftſteller ſind genug,
„einer Sprache von einer gewiſſen Seite die
„gehoͤrige Ausbildung zu geben. Die Na-

„tion
* Th. 7. p. 163.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0110" n="106"/>
          <p>Aber wie? leidet nicht die <hi rendition="#fr">Philo&#x017F;ophi&#x017F;che</hi><lb/>
Sprache der Deut&#x017F;chen darunter? Was das<lb/>
anbetrift: &#x017F;o fu&#x0364;hlen wir weit eher Fe&#x017F;&#x017F;eln in<lb/>
der Dichteri&#x017F;chen, als Philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Sprache;<lb/>
auch wir fu&#x0364;hlen es: &#x201E;daß wir eine Menge<lb/>
&#x201E;be&#x017F;onderer Zwecke gar nicht durch die ordent-<lb/>
&#x201E;liche Wortfu&#x0364;gung anzeigen ko&#x0364;nnen; die wir<lb/>
&#x201E;nur mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en aus dem Zu&#x017F;ammenhange errathen<lb/>
&#x201E;la&#x017F;&#x017F;en.&#x201E; Unvollkommenheit un&#x017F;rer Sprache<lb/>
von der &#x017F;innlichen Seite; aber voll der Seite<lb/>
der Vernunft?&#x201E;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Zur Weltweisheit <note place="foot" n="*">Th. 7. p. 163.</note> &#x017F;cheint die Deut&#x017F;che<lb/>
&#x201E;Sprache, mehr als irgend eine von den le-<lb/>
&#x201E;bendigen Sprachen, ausgebildet zu &#x017F;eyn. Sie<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t be&#x017F;timmt und reich genug, die fein&#x017F;ten<lb/>
&#x201E;Gedanken des Metaphy&#x017F;ikers in ihrer nack-<lb/>
&#x201E;ten Scho&#x0364;nheit vorzutragen, und von der<lb/>
&#x201E;andern Seite nachdru&#x0364;cklich und bilderreich<lb/>
&#x201E;genug, die abgezogen&#x017F;ten Lehren durch den<lb/>
&#x201E;Schmuck der Dichtkun&#x017F;t zu beleben. Je-<lb/>
&#x201E;nes hat &#x017F;ie Wolfen und die&#x017F;es Hallern zu<lb/>
&#x201E;danken. Zwei &#x017F;olche Schrift&#x017F;teller &#x017F;ind genug,<lb/>
&#x201E;einer Sprache von einer gewi&#x017F;&#x017F;en Seite die<lb/>
&#x201E;geho&#x0364;rige Ausbildung zu geben. Die Na-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;tion</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0110] Aber wie? leidet nicht die Philoſophiſche Sprache der Deutſchen darunter? Was das anbetrift: ſo fuͤhlen wir weit eher Feſſeln in der Dichteriſchen, als Philoſophiſchen Sprache; auch wir fuͤhlen es: „daß wir eine Menge „beſonderer Zwecke gar nicht durch die ordent- „liche Wortfuͤgung anzeigen koͤnnen; die wir „nur muͤſſen aus dem Zuſammenhange errathen „laſſen.„ Unvollkommenheit unſrer Sprache von der ſinnlichen Seite; aber voll der Seite der Vernunft?„ „Zur Weltweisheit * ſcheint die Deutſche „Sprache, mehr als irgend eine von den le- „bendigen Sprachen, ausgebildet zu ſeyn. Sie „iſt beſtimmt und reich genug, die feinſten „Gedanken des Metaphyſikers in ihrer nack- „ten Schoͤnheit vorzutragen, und von der „andern Seite nachdruͤcklich und bilderreich „genug, die abgezogenſten Lehren durch den „Schmuck der Dichtkunſt zu beleben. Je- „nes hat ſie Wolfen und dieſes Hallern zu „danken. Zwei ſolche Schriftſteller ſind genug, „einer Sprache von einer gewiſſen Seite die „gehoͤrige Ausbildung zu geben. Die Na- „tion * Th. 7. p. 163.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/110
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/110>, abgerufen am 21.11.2024.