der Verfasser übernahm, was niemand, als etwa ein Sohn der Sibylle, ausführen kann.
Die schöne Griechische Münze, und freilich läßt sich viel daraus ersehen. Das Volk, dem sie gehört, muß gebildet seyn, Commerz haben; Sinnbilder haben; eine gebildete Sprache haben; Zeichner und Stempelschneider haben, oder gehabt haben: das sehe ich. Träte ich auf ein fremdes Eiland und fände Münzen, von denen ich vermu- then könnte, daß sie kein Fremder verlohren: so wären diese Muthmaaßungen fertig. Aber eine Geschichte ihres Geschmacks und ihrer Künste, den Jnbegriff ihres Geschmacks und ihrer Künste -- unmöglich. Ob sie Dichter oder Weltweise, Bild- hauer, Tonkünstler und Tänzer neben ihren Stem- pelschneidern gehabt, ob ihr Zeitpunkt des Ge- schmacks ihnen eigen oder einer Colonie, ob ein langes oder kurzes Drama gewesen, sehe ich das aus einer Münze? Und ist nicht eben diese frap- pante Jntonation: ich will aus Münzen eine Ge- schichte des Geschmacks und der Künste geben! nach allen Zeitungspanegyren auf Hr. Kl. sein er- stes Verdienst bei diesem ganzen Buche? Jndianer, Perser, Araber! was kann man aus euren Mün- zen nicht weissagen?
Jetzt eine Sammlung, oder, wenn man kann, die ganze Menge Griechischer Münzen: und zwar, welches noch angenommener heißt, in ihrer Zeit-
folge
Kritiſche Waͤlder.
der Verfaſſer uͤbernahm, was niemand, als etwa ein Sohn der Sibylle, ausfuͤhren kann.
Die ſchoͤne Griechiſche Muͤnze, und freilich laͤßt ſich viel daraus erſehen. Das Volk, dem ſie gehoͤrt, muß gebildet ſeyn, Commerz haben; Sinnbilder haben; eine gebildete Sprache haben; Zeichner und Stempelſchneider haben, oder gehabt haben: das ſehe ich. Traͤte ich auf ein fremdes Eiland und faͤnde Muͤnzen, von denen ich vermu- then koͤnnte, daß ſie kein Fremder verlohren: ſo waͤren dieſe Muthmaaßungen fertig. Aber eine Geſchichte ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte, den Jnbegriff ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte — unmoͤglich. Ob ſie Dichter oder Weltweiſe, Bild- hauer, Tonkuͤnſtler und Taͤnzer neben ihren Stem- pelſchneidern gehabt, ob ihr Zeitpunkt des Ge- ſchmacks ihnen eigen oder einer Colonie, ob ein langes oder kurzes Drama geweſen, ſehe ich das aus einer Muͤnze? Und iſt nicht eben dieſe frap- pante Jntonation: ich will aus Muͤnzen eine Ge- ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte geben! nach allen Zeitungspanegyren auf Hr. Kl. ſein er- ſtes Verdienſt bei dieſem ganzen Buche? Jndianer, Perſer, Araber! was kann man aus euren Muͤn- zen nicht weiſſagen?
Jetzt eine Sammlung, oder, wenn man kann, die ganze Menge Griechiſcher Muͤnzen: und zwar, welches noch angenommener heißt, in ihrer Zeit-
folge
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0098"n="92"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/>
der Verfaſſer uͤbernahm, was niemand, als etwa<lb/>
ein Sohn der Sibylle, ausfuͤhren kann.</p><lb/><p>Die ſchoͤne Griechiſche Muͤnze, und freilich<lb/>
laͤßt ſich viel daraus erſehen. Das Volk, dem<lb/>ſie gehoͤrt, muß gebildet ſeyn, Commerz haben;<lb/>
Sinnbilder haben; eine gebildete Sprache haben;<lb/>
Zeichner und Stempelſchneider haben, oder gehabt<lb/>
haben: das ſehe ich. Traͤte ich auf ein fremdes<lb/>
Eiland und faͤnde Muͤnzen, von denen ich vermu-<lb/>
then koͤnnte, daß ſie kein Fremder verlohren: ſo<lb/>
waͤren dieſe Muthmaaßungen fertig. Aber eine<lb/>
Geſchichte ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte, den<lb/>
Jnbegriff ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte —<lb/>
unmoͤglich. Ob ſie Dichter oder Weltweiſe, Bild-<lb/>
hauer, Tonkuͤnſtler und Taͤnzer neben ihren Stem-<lb/>
pelſchneidern gehabt, ob ihr Zeitpunkt des Ge-<lb/>ſchmacks ihnen eigen oder einer Colonie, ob ein<lb/>
langes oder kurzes Drama geweſen, ſehe ich das<lb/>
aus einer Muͤnze? Und iſt nicht eben dieſe frap-<lb/>
pante Jntonation: ich will aus Muͤnzen eine Ge-<lb/>ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte geben!<lb/>
nach allen Zeitungspanegyren auf Hr. Kl. ſein er-<lb/>ſtes Verdienſt bei dieſem ganzen Buche? Jndianer,<lb/>
Perſer, Araber! was kann man aus euren Muͤn-<lb/>
zen nicht weiſſagen?</p><lb/><p>Jetzt eine Sammlung, oder, wenn man kann, die<lb/>
ganze Menge Griechiſcher Muͤnzen: und zwar,<lb/>
welches noch angenommener heißt, in ihrer Zeit-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">folge</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[92/0098]
Kritiſche Waͤlder.
der Verfaſſer uͤbernahm, was niemand, als etwa
ein Sohn der Sibylle, ausfuͤhren kann.
Die ſchoͤne Griechiſche Muͤnze, und freilich
laͤßt ſich viel daraus erſehen. Das Volk, dem
ſie gehoͤrt, muß gebildet ſeyn, Commerz haben;
Sinnbilder haben; eine gebildete Sprache haben;
Zeichner und Stempelſchneider haben, oder gehabt
haben: das ſehe ich. Traͤte ich auf ein fremdes
Eiland und faͤnde Muͤnzen, von denen ich vermu-
then koͤnnte, daß ſie kein Fremder verlohren: ſo
waͤren dieſe Muthmaaßungen fertig. Aber eine
Geſchichte ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte, den
Jnbegriff ihres Geſchmacks und ihrer Kuͤnſte —
unmoͤglich. Ob ſie Dichter oder Weltweiſe, Bild-
hauer, Tonkuͤnſtler und Taͤnzer neben ihren Stem-
pelſchneidern gehabt, ob ihr Zeitpunkt des Ge-
ſchmacks ihnen eigen oder einer Colonie, ob ein
langes oder kurzes Drama geweſen, ſehe ich das
aus einer Muͤnze? Und iſt nicht eben dieſe frap-
pante Jntonation: ich will aus Muͤnzen eine Ge-
ſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte geben!
nach allen Zeitungspanegyren auf Hr. Kl. ſein er-
ſtes Verdienſt bei dieſem ganzen Buche? Jndianer,
Perſer, Araber! was kann man aus euren Muͤn-
zen nicht weiſſagen?
Jetzt eine Sammlung, oder, wenn man kann, die
ganze Menge Griechiſcher Muͤnzen: und zwar,
welches noch angenommener heißt, in ihrer Zeit-
folge
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/98>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.