Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.Kritische Wälder. gehört auch kein erster Philologe der Nachwelt,um etwa das Costume unsrer Zeit daher zu muth- maßen, so wenig die Ammonshörner Alexanders und Lysimachus uns auf den Verdacht bringen, als wäre er eine gehörnte Mißgeburt gewesen. Wenn sich indessen ein Fürst einem solchen Jn- signe auch nur des Herkommens, des Ranges, des Nationellen bei seiner Huldigung und Krö- nung wegen bequemt -- immer sei er zu bekla- gen; denn hinter welchen Fässern und Gewändern muß ich nicht einen solchen König Saul suchen? aber auch der Unterschied werde erwogen zwischen einer Zeit, die ihre Fürsten frei hinstellt, und ei- ner Zeit, die sie nach Recht und Herkommen zu einem spanischen Mantel, oder zur Tonne des Diogenes, verurtheilt -- wer wird das ver- kennen? 5. Jch komme auf die Jnschriften, zu denen seiner
Kritiſche Waͤlder. gehoͤrt auch kein erſter Philologe der Nachwelt,um etwa das Coſtume unſrer Zeit daher zu muth- maßen, ſo wenig die Ammonshoͤrner Alexanders und Lyſimachus uns auf den Verdacht bringen, als waͤre er eine gehoͤrnte Mißgeburt geweſen. Wenn ſich indeſſen ein Fuͤrſt einem ſolchen Jn- ſigne auch nur des Herkommens, des Ranges, des Nationellen bei ſeiner Huldigung und Kroͤ- nung wegen bequemt — immer ſei er zu bekla- gen; denn hinter welchen Faͤſſern und Gewaͤndern muß ich nicht einen ſolchen Koͤnig Saul ſuchen? aber auch der Unterſchied werde erwogen zwiſchen einer Zeit, die ihre Fuͤrſten frei hinſtellt, und ei- ner Zeit, die ſie nach Recht und Herkommen zu einem ſpaniſchen Mantel, oder zur Tonne des Diogenes, verurtheilt — wer wird das ver- kennen? 5. Jch komme auf die Jnſchriften, zu denen ſeiner
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Kritiſche Waͤlder.
gehoͤrt auch kein erſter Philologe der Nachwelt,
um etwa das Coſtume unſrer Zeit daher zu muth-
maßen, ſo wenig die Ammonshoͤrner Alexanders
und Lyſimachus uns auf den Verdacht bringen,
als waͤre er eine gehoͤrnte Mißgeburt geweſen.
Wenn ſich indeſſen ein Fuͤrſt einem ſolchen Jn-
ſigne auch nur des Herkommens, des Ranges,
des Nationellen bei ſeiner Huldigung und Kroͤ-
nung wegen bequemt — immer ſei er zu bekla-
gen; denn hinter welchen Faͤſſern und Gewaͤndern
muß ich nicht einen ſolchen Koͤnig Saul ſuchen?
aber auch der Unterſchied werde erwogen zwiſchen
einer Zeit, die ihre Fuͤrſten frei hinſtellt, und ei-
ner Zeit, die ſie nach Recht und Herkommen
zu einem ſpaniſchen Mantel, oder zur Tonne des
Diogenes, verurtheilt — wer wird das ver-
kennen?
5. Jch komme auf die Jnſchriften, zu denen
ich hier ſo wohl Titel, als Legenden rechne. Ti-
tel! mit welchem Ballaſt ſind unſre Fuͤrſten nicht
uͤberladen? mit dieſem des Erbrechts, der Fa-
milie, eines hiſtoriſchen Umſtandes, einer Pro-
teſtation wegen, mit jenem der wirklichen Be-
ſitze halben — wo iſt hier die edle Armuth der
Griechen und Roͤmer? Der Roͤmer war Herr
und Kaiſer der Welt, nichts mehr duͤnkte er
ſich aber auch nichts weniger: Ein Titel alſo
ſeiner
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