Mit allem seinen Lesen wird der belesene Leser in seinem Leben nichts Rechts herausbringen.
Ein denkender Schriftsteller, der da irrt; und ein irrender Schriftsteller, der da denkt; und ein strauchelnder Schriftsteller, der noch nicht gnug ge- lesen, aber lesen kann: der nehme Bücher in die Hand; er wird denken, er wird nützliche und große Sachen hervordenken: sein Geist wird wachsen. Aber der Anagnoste, der da lieset, um gelesen zu haben, und citirt, was er nicht gelesen, und mit allen seinen Citationen nichts herausbringt, als was nicht jeder Halbgelehrte weiß: an dem gebe man die Hoffnung auf; der flickt sich einen Rock von Citationen zusammen, um seine Blöße zu decken. -- --
Für wen ich zu frei schreibe, der sage mir: was der Stein-Münzen - und Bilder - und Buch- stabenbelesne Klotz denn bisher mit seiner Lecture Neues gesagt? Wer mit so vieler Belesenheit über Tyrtäus, und Homer, und Virgil, und Horaz, und den Geschmack auf Münzen, und den Nutzen der geschnittnen Steine nicht mehr sagt, als Er, der hat mir nichts gesagt: der sage Nichts.
Herr Klotz hat aus Ursachen, die ich nicht weiß, und nicht wissen will, den guten Vorsatz ge- habt, die Lipppertsche Dactyliothek der Welt und insonderheit den Schulen anzupreisen. Es sei gu-
ter
Drittes Waͤldchen.
Mit allem ſeinen Leſen wird der beleſene Leſer in ſeinem Leben nichts Rechts herausbringen.
Ein denkender Schriftſteller, der da irrt; und ein irrender Schriftſteller, der da denkt; und ein ſtrauchelnder Schriftſteller, der noch nicht gnug ge- leſen, aber leſen kann: der nehme Buͤcher in die Hand; er wird denken, er wird nuͤtzliche und große Sachen hervordenken: ſein Geiſt wird wachſen. Aber der Anagnoſte, der da lieſet, um geleſen zu haben, und citirt, was er nicht geleſen, und mit allen ſeinen Citationen nichts herausbringt, als was nicht jeder Halbgelehrte weiß: an dem gebe man die Hoffnung auf; der flickt ſich einen Rock von Citationen zuſammen, um ſeine Bloͤße zu decken. — —
Fuͤr wen ich zu frei ſchreibe, der ſage mir: was der Stein-Muͤnzen - und Bilder - und Buch- ſtabenbeleſne Klotz denn bisher mit ſeiner Lecture Neues geſagt? Wer mit ſo vieler Beleſenheit uͤber Tyrtaͤus, und Homer, und Virgil, und Horaz, und den Geſchmack auf Muͤnzen, und den Nutzen der geſchnittnen Steine nicht mehr ſagt, als Er, der hat mir nichts geſagt: der ſage Nichts.
Herr Klotz hat aus Urſachen, die ich nicht weiß, und nicht wiſſen will, den guten Vorſatz ge- habt, die Lipppertſche Dactyliothek der Welt und inſonderheit den Schulen anzupreiſen. Es ſei gu-
ter
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0181"n="175"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Drittes Waͤldchen.</hi></fw><lb/>
Mit allem ſeinen Leſen wird der beleſene Leſer<lb/>
in ſeinem Leben nichts Rechts herausbringen.</p><lb/><p>Ein denkender Schriftſteller, der da irrt; und<lb/>
ein irrender Schriftſteller, der da denkt; und ein<lb/>ſtrauchelnder Schriftſteller, der noch nicht gnug ge-<lb/>
leſen, aber leſen kann: der nehme Buͤcher in die<lb/>
Hand; er wird denken, er wird nuͤtzliche und große<lb/>
Sachen hervordenken: ſein Geiſt wird wachſen.<lb/>
Aber der Anagnoſte, der da lieſet, um geleſen zu<lb/>
haben, und citirt, was er nicht geleſen, und mit<lb/>
allen ſeinen Citationen nichts herausbringt, als<lb/>
was nicht jeder Halbgelehrte weiß: an dem gebe<lb/>
man die Hoffnung auf; der flickt ſich einen Rock<lb/>
von Citationen zuſammen, um ſeine Bloͤße zu<lb/>
decken. ——</p><lb/><p>Fuͤr wen ich zu frei ſchreibe, der ſage mir:<lb/>
was der Stein-Muͤnzen - und Bilder - und Buch-<lb/>ſtabenbeleſne Klotz denn bisher mit ſeiner Lecture<lb/>
Neues geſagt? Wer mit ſo vieler Beleſenheit uͤber<lb/>
Tyrtaͤus, und Homer, und Virgil, und Horaz,<lb/>
und den Geſchmack auf Muͤnzen, und den Nutzen<lb/>
der geſchnittnen Steine nicht mehr ſagt, als Er,<lb/>
der hat mir nichts geſagt: der ſage Nichts.</p><lb/><p>Herr Klotz hat aus Urſachen, die ich nicht<lb/>
weiß, und nicht wiſſen will, den guten Vorſatz ge-<lb/>
habt, die Lipppertſche Dactyliothek der Welt und<lb/>
inſonderheit den Schulen anzupreiſen. Es ſei gu-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ter</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[175/0181]
Drittes Waͤldchen.
Mit allem ſeinen Leſen wird der beleſene Leſer
in ſeinem Leben nichts Rechts herausbringen.
Ein denkender Schriftſteller, der da irrt; und
ein irrender Schriftſteller, der da denkt; und ein
ſtrauchelnder Schriftſteller, der noch nicht gnug ge-
leſen, aber leſen kann: der nehme Buͤcher in die
Hand; er wird denken, er wird nuͤtzliche und große
Sachen hervordenken: ſein Geiſt wird wachſen.
Aber der Anagnoſte, der da lieſet, um geleſen zu
haben, und citirt, was er nicht geleſen, und mit
allen ſeinen Citationen nichts herausbringt, als
was nicht jeder Halbgelehrte weiß: an dem gebe
man die Hoffnung auf; der flickt ſich einen Rock
von Citationen zuſammen, um ſeine Bloͤße zu
decken. — —
Fuͤr wen ich zu frei ſchreibe, der ſage mir:
was der Stein-Muͤnzen - und Bilder - und Buch-
ſtabenbeleſne Klotz denn bisher mit ſeiner Lecture
Neues geſagt? Wer mit ſo vieler Beleſenheit uͤber
Tyrtaͤus, und Homer, und Virgil, und Horaz,
und den Geſchmack auf Muͤnzen, und den Nutzen
der geſchnittnen Steine nicht mehr ſagt, als Er,
der hat mir nichts geſagt: der ſage Nichts.
Herr Klotz hat aus Urſachen, die ich nicht
weiß, und nicht wiſſen will, den guten Vorſatz ge-
habt, die Lipppertſche Dactyliothek der Welt und
inſonderheit den Schulen anzupreiſen. Es ſei gu-
ter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/181>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.