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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.

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Kritische Wälder.
men ein Paar schöne Possen, die ich übergehe --
"-- daß ein solches Zeitalter nichts lieber auch auf
"Münzen sah, als Kreuze, Schlüssel, Bücher,
"Bischofsstäbe und Kirchen. -- --" Der Viel-
wisser Klotz muß nichts wissen, was er wissen soll.
Wie? die mittelmäßigste Kenntniß der mittlern
Geschichte und Rechtsgelehrsamkeit, die diplomati-
sche Stavrologie und Sphragistik, zeigt sie nicht,
daß Kreuze und andere Zeichen altes Herkommen
gewesen, das freilich im Anfange aus Aberglauben
aufkam, nachher aber Jahrhunderte hinweg ur-
kundliche Gewohnheit, bestimmtes Rechts - und
Hoheitszeichen u. s. w. blieb -- wie also in jedem
Jahrhundert, und in jedem Subjekt ein Zeuge auf
Moralischen Charakter? Wie manche von diesen
werden noch heut zu Tage signiret, wo sie ihres
Orts sind? und in den damaligen Zeiten sollte man
sie aus gutem Wohlgeschmack unterlassen, sich den
Haß der Geistlichen, und vielleicht die Ungültig-
keit der Gepräge zuziehen, die sich dem Herkommen
nicht unterwerfen? Nicht lieber ein Kreuz signiren,
wo es Zeit - und Landüblich war, als ein Thor und
ein Ketzer des guten Geschmacks wegen seyn wollen?
Unzeitiges Anbringen des guten Geschmacks zuerst
auf einer Münze, noch unzeitiger aber da, wo
alles Herkommen ist,
guten Geschmack suchen
und verurtheilen wollen -- was in der Welt geht
über die Halbkenntniß!

"Man

Kritiſche Waͤlder.
men ein Paar ſchoͤne Poſſen, die ich uͤbergehe —
„— daß ein ſolches Zeitalter nichts lieber auch auf
„Muͤnzen ſah, als Kreuze, Schluͤſſel, Buͤcher,
„Biſchofsſtaͤbe und Kirchen. — —„ Der Viel-
wiſſer Klotz muß nichts wiſſen, was er wiſſen ſoll.
Wie? die mittelmaͤßigſte Kenntniß der mittlern
Geſchichte und Rechtsgelehrſamkeit, die diplomati-
ſche Stavrologie und Sphragiſtik, zeigt ſie nicht,
daß Kreuze und andere Zeichen altes Herkommen
geweſen, das freilich im Anfange aus Aberglauben
aufkam, nachher aber Jahrhunderte hinweg ur-
kundliche Gewohnheit, beſtimmtes Rechts - und
Hoheitszeichen u. ſ. w. blieb — wie alſo in jedem
Jahrhundert, und in jedem Subjekt ein Zeuge auf
Moraliſchen Charakter? Wie manche von dieſen
werden noch heut zu Tage ſigniret, wo ſie ihres
Orts ſind? und in den damaligen Zeiten ſollte man
ſie aus gutem Wohlgeſchmack unterlaſſen, ſich den
Haß der Geiſtlichen, und vielleicht die Unguͤltig-
keit der Gepraͤge zuziehen, die ſich dem Herkommen
nicht unterwerfen? Nicht lieber ein Kreuz ſigniren,
wo es Zeit - und Landuͤblich war, als ein Thor und
ein Ketzer des guten Geſchmacks wegen ſeyn wollen?
Unzeitiges Anbringen des guten Geſchmacks zuerſt
auf einer Muͤnze, noch unzeitiger aber da, wo
alles Herkommen iſt,
guten Geſchmack ſuchen
und verurtheilen wollen — was in der Welt geht
uͤber die Halbkenntniß!

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[110/0116] Kritiſche Waͤlder. men ein Paar ſchoͤne Poſſen, die ich uͤbergehe — „— daß ein ſolches Zeitalter nichts lieber auch auf „Muͤnzen ſah, als Kreuze, Schluͤſſel, Buͤcher, „Biſchofsſtaͤbe und Kirchen. — —„ Der Viel- wiſſer Klotz muß nichts wiſſen, was er wiſſen ſoll. Wie? die mittelmaͤßigſte Kenntniß der mittlern Geſchichte und Rechtsgelehrſamkeit, die diplomati- ſche Stavrologie und Sphragiſtik, zeigt ſie nicht, daß Kreuze und andere Zeichen altes Herkommen geweſen, das freilich im Anfange aus Aberglauben aufkam, nachher aber Jahrhunderte hinweg ur- kundliche Gewohnheit, beſtimmtes Rechts - und Hoheitszeichen u. ſ. w. blieb — wie alſo in jedem Jahrhundert, und in jedem Subjekt ein Zeuge auf Moraliſchen Charakter? Wie manche von dieſen werden noch heut zu Tage ſigniret, wo ſie ihres Orts ſind? und in den damaligen Zeiten ſollte man ſie aus gutem Wohlgeſchmack unterlaſſen, ſich den Haß der Geiſtlichen, und vielleicht die Unguͤltig- keit der Gepraͤge zuziehen, die ſich dem Herkommen nicht unterwerfen? Nicht lieber ein Kreuz ſigniren, wo es Zeit - und Landuͤblich war, als ein Thor und ein Ketzer des guten Geſchmacks wegen ſeyn wollen? Unzeitiges Anbringen des guten Geſchmacks zuerſt auf einer Muͤnze, noch unzeitiger aber da, wo alles Herkommen iſt, guten Geſchmack ſuchen und verurtheilen wollen — was in der Welt geht uͤber die Halbkenntniß! „Man

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/116>, abgerufen am 27.11.2024.