Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.Kritische Wälder. "eines großen Genies" u. s. w. -- wie? und die-ser wirklich große Mann sollte mit seinem Ausspru- che das vorhergehende Getümmel von Halbwahr- heiten bestätigen? Er es bestätigen, daß alle bil- dende Künste überhaupt als verborgne Verräthe- rinnen der Denkungsart desjenigen sind, der sich mit ihnen beschäftigt? Er es bestätigen, daß Ein Werk eines Künstlers eine noch getreuere Schilderung seines sittlichen Charakters (seines sittlichen Charakters!) sey, als eine Schrift das Bild des Schriftstellers? Er die erniedrigende Be- sichtigung anrathen, in einem Kunstwerke die Trieb- federn lesen zu wollen, die den Geist des Künstlers (wie eines Taglöhners) in Bewegung gesetzt, und die Neigungen, welche seine Hand geleitet? Er mit dem Geist ersehen zufrieden seyn, in Kunst- werken nichts so eigentlich, als das vornehme oft so unverstandne Wort: sittlicher Charakter! sehen zu wollen? -- So schielende Anführungen, die Hr. Kl. zur Zeit und Unzeit auf der Zunge hat, entehren, und einen von Hagedorn entehren sie doppelt. -- -- Wir wollen es unterwegens las- sen, aus der Lippe Leopolds des großen auf seinen Münzen den sittlichen Charakter, die Triebfedern, die Neigungen, den Geist, die Denkungsart seines Stempelschneiders zu weißagen. Jch wünsche unsrer Zeit, die sich beinahe dar- den
Kritiſche Waͤlder. „eines großen Genies„ u. ſ. w. — wie? und die-ſer wirklich große Mann ſollte mit ſeinem Ausſpru- che das vorhergehende Getuͤmmel von Halbwahr- heiten beſtaͤtigen? Er es beſtaͤtigen, daß alle bil- dende Kuͤnſte uͤberhaupt als verborgne Verraͤthe- rinnen der Denkungsart desjenigen ſind, der ſich mit ihnen beſchaͤftigt? Er es beſtaͤtigen, daß Ein Werk eines Kuͤnſtlers eine noch getreuere Schilderung ſeines ſittlichen Charakters (ſeines ſittlichen Charakters!) ſey, als eine Schrift das Bild des Schriftſtellers? Er die erniedrigende Be- ſichtigung anrathen, in einem Kunſtwerke die Trieb- federn leſen zu wollen, die den Geiſt des Kuͤnſtlers (wie eines Tagloͤhners) in Bewegung geſetzt, und die Neigungen, welche ſeine Hand geleitet? Er mit dem Geiſt erſehen zufrieden ſeyn, in Kunſt- werken nichts ſo eigentlich, als das vornehme oft ſo unverſtandne Wort: ſittlicher Charakter! ſehen zu wollen? — So ſchielende Anfuͤhrungen, die Hr. Kl. zur Zeit und Unzeit auf der Zunge hat, entehren, und einen von Hagedorn entehren ſie doppelt. — — Wir wollen es unterwegens laſ- ſen, aus der Lippe Leopolds des großen auf ſeinen Muͤnzen den ſittlichen Charakter, die Triebfedern, die Neigungen, den Geiſt, die Denkungsart ſeines Stempelſchneiders zu weißagen. Jch wuͤnſche unſrer Zeit, die ſich beinahe dar- den
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Kritiſche Waͤlder.
„eines großen Genies„ u. ſ. w. — wie? und die-
ſer wirklich große Mann ſollte mit ſeinem Ausſpru-
che das vorhergehende Getuͤmmel von Halbwahr-
heiten beſtaͤtigen? Er es beſtaͤtigen, daß alle bil-
dende Kuͤnſte uͤberhaupt als verborgne Verraͤthe-
rinnen der Denkungsart desjenigen ſind, der
ſich mit ihnen beſchaͤftigt? Er es beſtaͤtigen, daß
Ein Werk eines Kuͤnſtlers eine noch getreuere
Schilderung ſeines ſittlichen Charakters (ſeines
ſittlichen Charakters!) ſey, als eine Schrift das
Bild des Schriftſtellers? Er die erniedrigende Be-
ſichtigung anrathen, in einem Kunſtwerke die Trieb-
federn leſen zu wollen, die den Geiſt des Kuͤnſtlers
(wie eines Tagloͤhners) in Bewegung geſetzt, und
die Neigungen, welche ſeine Hand geleitet? Er
mit dem Geiſt erſehen zufrieden ſeyn, in Kunſt-
werken nichts ſo eigentlich, als das vornehme oft
ſo unverſtandne Wort: ſittlicher Charakter! ſehen
zu wollen? — So ſchielende Anfuͤhrungen, die
Hr. Kl. zur Zeit und Unzeit auf der Zunge hat,
entehren, und einen von Hagedorn entehren ſie
doppelt. — — Wir wollen es unterwegens laſ-
ſen, aus der Lippe Leopolds des großen auf ſeinen
Muͤnzen den ſittlichen Charakter, die Triebfedern,
die Neigungen, den Geiſt, die Denkungsart ſeines
Stempelſchneiders zu weißagen.
Jch wuͤnſche unſrer Zeit, die ſich beinahe dar-
ein verliebt hat, aus Dichtungs- und Kunſtwerken
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