Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder
untersuchen, ob wir, ob der Leser lache? ob eine
Person sey, mit der wir Theil nehmend lachen?
ob wir uns nicht vielmehr über das Lachen desselben
ärgern? ob dieser Unwille nicht eben die Absicht des
Dichters gewesen? Nichts von allem! Die Schwel-
ger bei der Penelope lachen; Ulysses und Jrus ge-
ben dazu Anlaß -- in der Epopee soll keiner la-
chen: -- Ulysses und Jrus aus der Odyssee hin-
weg! Die Teufel in Milton spotten und lachen:
sie beweisen zwar dadurch nichts anders, als daß sie
Teufel, dumme Bösewichter sind, und lachen so
charakteristisch, als sie nicht reden könnten -- aber
doch lachen sie, und in der Epopee soll keiner la-
chen -- weg damit!

Ehe nun ein so feierliches Gebot gegeben wird,
soll voraus ausgemacht werden: ob das Lachen ein
wirklich entehrender Zug eines Menschen- eines Hel-
den - eines Götterantlitzes sey? Ob es nicht Fälle
geben könne, da das Hohnlächeln sowohl, als das
Hohnlachen, und das Lächeln der Freude sowohl,
als das Freudengelächter, den epischen Zweck mit be-
fördern muß? Ob nicht ein hohnlachender Satan,
und ein erhaben lächelnder Engel, selig lächelnde
Götter, und närrisch lachende Wollüstlinge, und
schadenfroh lachende Griechen zum ganzen epischen
Gemälde unentbehrliche Gruppen ausmachen kön-
nen? Ob der Ton jeder Epopee gleich hoch gestim-
met sey, und auch die Concente des Ernsts in glei-

chem

Kritiſche Waͤlder
unterſuchen, ob wir, ob der Leſer lache? ob eine
Perſon ſey, mit der wir Theil nehmend lachen?
ob wir uns nicht vielmehr uͤber das Lachen deſſelben
aͤrgern? ob dieſer Unwille nicht eben die Abſicht des
Dichters geweſen? Nichts von allem! Die Schwel-
ger bei der Penelope lachen; Ulyſſes und Jrus ge-
ben dazu Anlaß — in der Epopee ſoll keiner la-
chen: — Ulyſſes und Jrus aus der Odyſſee hin-
weg! Die Teufel in Milton ſpotten und lachen:
ſie beweiſen zwar dadurch nichts anders, als daß ſie
Teufel, dumme Boͤſewichter ſind, und lachen ſo
charakteriſtiſch, als ſie nicht reden koͤnnten — aber
doch lachen ſie, und in der Epopee ſoll keiner la-
chen — weg damit!

Ehe nun ein ſo feierliches Gebot gegeben wird,
ſoll voraus ausgemacht werden: ob das Lachen ein
wirklich entehrender Zug eines Menſchen- eines Hel-
den - eines Goͤtterantlitzes ſey? Ob es nicht Faͤlle
geben koͤnne, da das Hohnlaͤcheln ſowohl, als das
Hohnlachen, und das Laͤcheln der Freude ſowohl,
als das Freudengelaͤchter, den epiſchen Zweck mit be-
foͤrdern muß? Ob nicht ein hohnlachender Satan,
und ein erhaben laͤchelnder Engel, ſelig laͤchelnde
Goͤtter, und naͤrriſch lachende Wolluͤſtlinge, und
ſchadenfroh lachende Griechen zum ganzen epiſchen
Gemaͤlde unentbehrliche Gruppen ausmachen koͤn-
nen? Ob der Ton jeder Epopee gleich hoch geſtim-
met ſey, und auch die Concente des Ernſts in glei-

chem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0054" n="48"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder</hi></fw><lb/>
unter&#x017F;uchen, ob <hi rendition="#fr">wir,</hi> ob <hi rendition="#fr">der Le&#x017F;er</hi> lache? ob eine<lb/>
Per&#x017F;on &#x017F;ey, mit der wir <hi rendition="#fr">Theil nehmend</hi> lachen?<lb/>
ob wir uns nicht vielmehr u&#x0364;ber das Lachen de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
a&#x0364;rgern? ob die&#x017F;er Unwille nicht eben die Ab&#x017F;icht des<lb/>
Dichters gewe&#x017F;en? Nichts von allem! Die Schwel-<lb/>
ger bei der Penelope <hi rendition="#fr">lachen;</hi> Uly&#x017F;&#x017F;es und Jrus ge-<lb/>
ben dazu Anlaß &#x2014; in der Epopee &#x017F;oll keiner la-<lb/>
chen: &#x2014; Uly&#x017F;&#x017F;es und Jrus aus der Ody&#x017F;&#x017F;ee hin-<lb/>
weg! Die Teufel in Milton &#x017F;potten und lachen:<lb/>
&#x017F;ie bewei&#x017F;en zwar dadurch nichts anders, als daß &#x017F;ie<lb/>
Teufel, dumme Bo&#x0364;&#x017F;ewichter &#x017F;ind, und lachen &#x017F;o<lb/>
charakteri&#x017F;ti&#x017F;ch, als &#x017F;ie nicht reden ko&#x0364;nnten &#x2014; aber<lb/>
doch lachen &#x017F;ie, und in der Epopee &#x017F;oll keiner la-<lb/>
chen &#x2014; weg damit!</p><lb/>
          <p>Ehe nun ein &#x017F;o feierliches Gebot gegeben wird,<lb/>
&#x017F;oll voraus ausgemacht werden: ob das Lachen ein<lb/>
wirklich entehrender Zug eines Men&#x017F;chen- eines Hel-<lb/>
den - eines Go&#x0364;tterantlitzes &#x017F;ey? Ob es nicht Fa&#x0364;lle<lb/>
geben ko&#x0364;nne, da das Hohnla&#x0364;cheln &#x017F;owohl, als das<lb/>
Hohnlachen, und das La&#x0364;cheln der Freude &#x017F;owohl,<lb/>
als das Freudengela&#x0364;chter, den epi&#x017F;chen Zweck mit be-<lb/>
fo&#x0364;rdern muß? Ob nicht ein hohnlachender Satan,<lb/>
und ein erhaben la&#x0364;chelnder Engel, &#x017F;elig la&#x0364;chelnde<lb/>
Go&#x0364;tter, und na&#x0364;rri&#x017F;ch lachende Wollu&#x0364;&#x017F;tlinge, und<lb/>
&#x017F;chadenfroh lachende Griechen zum ganzen epi&#x017F;chen<lb/>
Gema&#x0364;lde unentbehrliche Gruppen ausmachen ko&#x0364;n-<lb/>
nen? Ob der Ton jeder Epopee gleich hoch ge&#x017F;tim-<lb/>
met &#x017F;ey, und auch die Concente des Ern&#x017F;ts in glei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">chem</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0054] Kritiſche Waͤlder unterſuchen, ob wir, ob der Leſer lache? ob eine Perſon ſey, mit der wir Theil nehmend lachen? ob wir uns nicht vielmehr uͤber das Lachen deſſelben aͤrgern? ob dieſer Unwille nicht eben die Abſicht des Dichters geweſen? Nichts von allem! Die Schwel- ger bei der Penelope lachen; Ulyſſes und Jrus ge- ben dazu Anlaß — in der Epopee ſoll keiner la- chen: — Ulyſſes und Jrus aus der Odyſſee hin- weg! Die Teufel in Milton ſpotten und lachen: ſie beweiſen zwar dadurch nichts anders, als daß ſie Teufel, dumme Boͤſewichter ſind, und lachen ſo charakteriſtiſch, als ſie nicht reden koͤnnten — aber doch lachen ſie, und in der Epopee ſoll keiner la- chen — weg damit! Ehe nun ein ſo feierliches Gebot gegeben wird, ſoll voraus ausgemacht werden: ob das Lachen ein wirklich entehrender Zug eines Menſchen- eines Hel- den - eines Goͤtterantlitzes ſey? Ob es nicht Faͤlle geben koͤnne, da das Hohnlaͤcheln ſowohl, als das Hohnlachen, und das Laͤcheln der Freude ſowohl, als das Freudengelaͤchter, den epiſchen Zweck mit be- foͤrdern muß? Ob nicht ein hohnlachender Satan, und ein erhaben laͤchelnder Engel, ſelig laͤchelnde Goͤtter, und naͤrriſch lachende Wolluͤſtlinge, und ſchadenfroh lachende Griechen zum ganzen epiſchen Gemaͤlde unentbehrliche Gruppen ausmachen koͤn- nen? Ob der Ton jeder Epopee gleich hoch geſtim- met ſey, und auch die Concente des Ernſts in glei- chem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/54
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/54>, abgerufen am 03.05.2024.