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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Kritische Wälder.
Iocos ridiculos vendo: agite licitemini!

der epische Dichter Homer weiß von solchen lächer-
lichen Grazien nichts. Das Zeitalter, das er be-
singt, war "die Zeit der Heldengröße, eines hohen
"Ernstes nach griechischer Natur:" und die Zeit,
in der er lebte und sang, "der Anfang des bürger-
"lichen Jahrhunderts," und also eines gesitteten
Ernstes in edler Einfalt. So wie in der ersten
der Held, der Tapfre, der größeste Mann war;
so in der zweiten der Weise und Gute ---- in
beiden war an den lachenden, oder Lachen erregen-
den Witzling nicht wohl zu gedenken; sonst wäre statt
homerischer Epopeen nichts, als crebillonsche Ro-
mane, oder komische Epopeen, die Erstgeburt der
griechischen Muse geworden. Bei Homer also,
wenn er keinen Margites, sondern eine Helden Jlia-
de schreibt, bin ich vor dem unzeitigen, unwürdigen
Lachen so sicher, als ichs bei den schönen und artigen
Schriftstellern unsrer Tage wohl nicht bin: und das
vermöge des homerischen Zeitalters.

Drittens endlich, dünkt mich die Ursache des
beschwerlich Lächerlichen
in Homer eben so unge-
wiß,
daß er aus einem Fehltrite seiner Beurthei-
lungskraft so unzeitig lächerlich, so lachsüchtig ge-
worden: denn wer Homers Zeit kennet, wird zehn
andre Fehltritte für wahrscheinlicher halten, als ----
doch warum so viel wahrscheinliche oder unwahr-

schein-
Kritiſche Waͤlder.
Iocos ridiculos vendo: agite licitemini!

der epiſche Dichter Homer weiß von ſolchen laͤcher-
lichen Grazien nichts. Das Zeitalter, das er be-
ſingt, war „die Zeit der Heldengroͤße, eines hohen
„Ernſtes nach griechiſcher Natur:„ und die Zeit,
in der er lebte und ſang, „der Anfang des buͤrger-
„lichen Jahrhunderts,„ und alſo eines geſitteten
Ernſtes in edler Einfalt. So wie in der erſten
der Held, der Tapfre, der groͤßeſte Mann war;
ſo in der zweiten der Weiſe und Gute —— in
beiden war an den lachenden, oder Lachen erregen-
den Witzling nicht wohl zu gedenken; ſonſt waͤre ſtatt
homeriſcher Epopeen nichts, als crebillonſche Ro-
mane, oder komiſche Epopeen, die Erſtgeburt der
griechiſchen Muſe geworden. Bei Homer alſo,
wenn er keinen Margites, ſondern eine Helden Jlia-
de ſchreibt, bin ich vor dem unzeitigen, unwuͤrdigen
Lachen ſo ſicher, als ichs bei den ſchoͤnen und artigen
Schriftſtellern unſrer Tage wohl nicht bin: und das
vermoͤge des homeriſchen Zeitalters.

Drittens endlich, duͤnkt mich die Urſache des
beſchwerlich Laͤcherlichen
in Homer eben ſo unge-
wiß,
daß er aus einem Fehltrite ſeiner Beurthei-
lungskraft ſo unzeitig laͤcherlich, ſo lachſuͤchtig ge-
worden: denn wer Homers Zeit kennet, wird zehn
andre Fehltritte fuͤr wahrſcheinlicher halten, als ——
doch warum ſo viel wahrſcheinliche oder unwahr-

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[22/0028] Kritiſche Waͤlder. Iocos ridiculos vendo: agite licitemini! der epiſche Dichter Homer weiß von ſolchen laͤcher- lichen Grazien nichts. Das Zeitalter, das er be- ſingt, war „die Zeit der Heldengroͤße, eines hohen „Ernſtes nach griechiſcher Natur:„ und die Zeit, in der er lebte und ſang, „der Anfang des buͤrger- „lichen Jahrhunderts,„ und alſo eines geſitteten Ernſtes in edler Einfalt. So wie in der erſten der Held, der Tapfre, der groͤßeſte Mann war; ſo in der zweiten der Weiſe und Gute —— in beiden war an den lachenden, oder Lachen erregen- den Witzling nicht wohl zu gedenken; ſonſt waͤre ſtatt homeriſcher Epopeen nichts, als crebillonſche Ro- mane, oder komiſche Epopeen, die Erſtgeburt der griechiſchen Muſe geworden. Bei Homer alſo, wenn er keinen Margites, ſondern eine Helden Jlia- de ſchreibt, bin ich vor dem unzeitigen, unwuͤrdigen Lachen ſo ſicher, als ichs bei den ſchoͤnen und artigen Schriftſtellern unſrer Tage wohl nicht bin: und das vermoͤge des homeriſchen Zeitalters. Drittens endlich, duͤnkt mich die Urſache des beſchwerlich Laͤcherlichen in Homer eben ſo unge- wiß, daß er aus einem Fehltrite ſeiner Beurthei- lungskraft ſo unzeitig laͤcherlich, ſo lachſuͤchtig ge- worden: denn wer Homers Zeit kennet, wird zehn andre Fehltritte fuͤr wahrſcheinlicher halten, als —— doch warum ſo viel wahrſcheinliche oder unwahr- ſchein-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/28>, abgerufen am 29.03.2024.