Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
Schlechtes Lob! wird man sagen, über eine tadels-
werthe Handlung; elende Bekleidung eines Feh-
lers, ihn namenlos zu begehen! Aber wo mag der
Fehler, die tadelswerthe Handlung denn bei Apulej
wohnen?

Jch mag keine neue Vertheidigung der so-
kratischen Liebe übernehmen, da schon mehr, als ei-
ner, sie vertheidiget hat: ich betrachte Virgil nicht
mehr, als sokratischen Liebhaber seines Alexis, son-
dern als den Liebessänger desselben; und welch ein
brennender Liebesgesang? wer könnte die Flamme
noch entschuldigen? -- Jch bins, der sie ent-
schuldigt; und eben der Apulejus, der meinen Eklo-
gisten für einen Liebessänger in seinem, ob gleich
verdeckten, Namen angiebt, mag ihn auch rechtfer-
tigen. Er rede: Quanto modestius Mantuanus
Poeta, qui itidem, ut ego, puerum amici sui Pol-
lionis Bucolico ludisro laudans
-- -- Wie? so
ist Virgils Ekloge, nach Apulejus Zeugniß, blos
ein scherzhaftes Lob- ein scherzhaftes Hirtenge-
dicht gewesen? so unschuldig, daß Apulej sich nicht
sicherer stellen kann, als mit ihm in eine Classe? so
unschuldig, daß es zu Apulejs Zeiten offenbar
nur für einen Spaß, für eine scherzhafte Tändelei
galt? -- Was soll den Apulej gegen ihn; er ist
der beste Freund für ihn.

Und was ist wahrscheinlicher, als Apulejus
Nachricht? Jch stelle mir den hübschen Jungen

des

Kritiſche Waͤlder.
Schlechtes Lob! wird man ſagen, uͤber eine tadels-
werthe Handlung; elende Bekleidung eines Feh-
lers, ihn namenlos zu begehen! Aber wo mag der
Fehler, die tadelswerthe Handlung denn bei Apulej
wohnen?

Jch mag keine neue Vertheidigung der ſo-
kratiſchen Liebe uͤbernehmen, da ſchon mehr, als ei-
ner, ſie vertheidiget hat: ich betrachte Virgil nicht
mehr, als ſokratiſchen Liebhaber ſeines Alexis, ſon-
dern als den Liebesſaͤnger deſſelben; und welch ein
brennender Liebesgeſang? wer koͤnnte die Flamme
noch entſchuldigen? — Jch bins, der ſie ent-
ſchuldigt; und eben der Apulejus, der meinen Eklo-
giſten fuͤr einen Liebesſaͤnger in ſeinem, ob gleich
verdeckten, Namen angiebt, mag ihn auch rechtfer-
tigen. Er rede: Quanto modeſtius Mantuanus
Poeta, qui itidem, ut ego, puerum amici ſui Pol-
lionis Bucolico ludisro laudans
— — Wie? ſo
iſt Virgils Ekloge, nach Apulejus Zeugniß, blos
ein ſcherzhaftes Lob- ein ſcherzhaftes Hirtenge-
dicht geweſen? ſo unſchuldig, daß Apulej ſich nicht
ſicherer ſtellen kann, als mit ihm in eine Claſſe? ſo
unſchuldig, daß es zu Apulejs Zeiten offenbar
nur fuͤr einen Spaß, fuͤr eine ſcherzhafte Taͤndelei
galt? — Was ſoll den Apulej gegen ihn; er iſt
der beſte Freund fuͤr ihn.

Und was iſt wahrſcheinlicher, als Apulejus
Nachricht? Jch ſtelle mir den huͤbſchen Jungen

des
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="190"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
Schlechtes Lob! wird man &#x017F;agen, u&#x0364;ber eine tadels-<lb/>
werthe Handlung; elende Bekleidung eines Feh-<lb/>
lers, ihn namenlos zu begehen! Aber wo mag der<lb/>
Fehler, die tadelswerthe Handlung denn bei Apulej<lb/>
wohnen?</p><lb/>
          <p>Jch mag keine neue Vertheidigung der &#x017F;o-<lb/>
krati&#x017F;chen Liebe u&#x0364;bernehmen, da &#x017F;chon mehr, als ei-<lb/>
ner, &#x017F;ie vertheidiget hat: ich betrachte Virgil nicht<lb/>
mehr, als &#x017F;okrati&#x017F;chen Liebhaber &#x017F;eines Alexis, &#x017F;on-<lb/>
dern als den Liebes&#x017F;a&#x0364;nger de&#x017F;&#x017F;elben; und welch ein<lb/>
brennender Liebesge&#x017F;ang? wer ko&#x0364;nnte die Flamme<lb/>
noch ent&#x017F;chuldigen? &#x2014; Jch bins, der &#x017F;ie ent-<lb/>
&#x017F;chuldigt; und eben der Apulejus, der meinen Eklo-<lb/>
gi&#x017F;ten fu&#x0364;r einen Liebes&#x017F;a&#x0364;nger in &#x017F;einem, ob gleich<lb/>
verdeckten, Namen angiebt, mag ihn auch rechtfer-<lb/>
tigen. Er rede: <hi rendition="#aq">Quanto mode&#x017F;tius Mantuanus<lb/>
Poeta, qui <hi rendition="#i">itidem</hi>, <hi rendition="#i">ut ego,</hi> puerum amici &#x017F;ui Pol-<lb/>
lionis Bucolico <hi rendition="#i">ludisro laudans</hi></hi> &#x2014; &#x2014; Wie? &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t Virgils Ekloge, nach Apulejus Zeugniß, blos<lb/>
ein <hi rendition="#fr">&#x017F;cherzhaftes Lob-</hi> ein <hi rendition="#fr">&#x017F;cherzhaftes</hi> Hirtenge-<lb/>
dicht gewe&#x017F;en? &#x017F;o un&#x017F;chuldig, daß Apulej &#x017F;ich nicht<lb/>
&#x017F;icherer &#x017F;tellen kann, als mit ihm in eine Cla&#x017F;&#x017F;e? &#x017F;o<lb/>
un&#x017F;chuldig, daß es zu Apulejs Zeiten offenbar<lb/>
nur fu&#x0364;r einen Spaß, fu&#x0364;r eine &#x017F;cherzhafte Ta&#x0364;ndelei<lb/>
galt? &#x2014; Was &#x017F;oll den Apulej gegen ihn; er i&#x017F;t<lb/>
der be&#x017F;te Freund fu&#x0364;r ihn.</p><lb/>
          <p>Und was i&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlicher, als Apulejus<lb/>
Nachricht? Jch &#x017F;telle mir den hu&#x0364;b&#x017F;chen Jungen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">des</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0196] Kritiſche Waͤlder. Schlechtes Lob! wird man ſagen, uͤber eine tadels- werthe Handlung; elende Bekleidung eines Feh- lers, ihn namenlos zu begehen! Aber wo mag der Fehler, die tadelswerthe Handlung denn bei Apulej wohnen? Jch mag keine neue Vertheidigung der ſo- kratiſchen Liebe uͤbernehmen, da ſchon mehr, als ei- ner, ſie vertheidiget hat: ich betrachte Virgil nicht mehr, als ſokratiſchen Liebhaber ſeines Alexis, ſon- dern als den Liebesſaͤnger deſſelben; und welch ein brennender Liebesgeſang? wer koͤnnte die Flamme noch entſchuldigen? — Jch bins, der ſie ent- ſchuldigt; und eben der Apulejus, der meinen Eklo- giſten fuͤr einen Liebesſaͤnger in ſeinem, ob gleich verdeckten, Namen angiebt, mag ihn auch rechtfer- tigen. Er rede: Quanto modeſtius Mantuanus Poeta, qui itidem, ut ego, puerum amici ſui Pol- lionis Bucolico ludisro laudans — — Wie? ſo iſt Virgils Ekloge, nach Apulejus Zeugniß, blos ein ſcherzhaftes Lob- ein ſcherzhaftes Hirtenge- dicht geweſen? ſo unſchuldig, daß Apulej ſich nicht ſicherer ſtellen kann, als mit ihm in eine Claſſe? ſo unſchuldig, daß es zu Apulejs Zeiten offenbar nur fuͤr einen Spaß, fuͤr eine ſcherzhafte Taͤndelei galt? — Was ſoll den Apulej gegen ihn; er iſt der beſte Freund fuͤr ihn. Und was iſt wahrſcheinlicher, als Apulejus Nachricht? Jch ſtelle mir den huͤbſchen Jungen des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/196
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/196>, abgerufen am 03.05.2024.