Und das betraf nur die Schamhaftigkeit Vir- gils, als eines Schriftstellers; nun war aber diese, wie mich dünkt, eben nicht das, was ich suchte. Hr. Kl. legt die Stellen Donatus und Servius zum Grunde a), und was könnte also der Leser er- warten, als daß er sich über diese Stellen, über die Anschuldigungen derselben, kurz! über die persönli- che Charakterschamhaftigkeit Virgils erklären möch- te; vielleicht aber, daß ihn seine Collektaneen über diesen Punkt verlassen haben; denn er lenket fein ar- tig ab. Donatus sagt: Virgil soll schöne Kna- ben geliebet; er soll die Plotia Hieria gekannt; er soll in diesem Punkte nicht die Jungfer gewesen seyn, für die er galt. Servius sagt beinahe eben das; und Hr. Kl. hätte wissen können, daß schon lange vorher auch Martial und Apulejus auch so Etwas gesagt hatten, daß es eine allgemeine Sa- ge von Virgil gewesen, das -- kurz! alles das sagt das Gerücht, und Hr. Kl. beweiset, daß seine Aeneide, und die Gedichte seines Namens keine Hurenlieder sind -- wer will das bewiesen haben?
Hr. Kl. meynet zwar b), daß Eins das An- dre aufhebe; daß es eben so sey, als wenn ihn je- mand für einen gelehrten Grammaticus hielte, und ihm doch zeige, daß er weder Griechisch noch Latei-
nisch
a)p. 244.
b)p. 245.
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Zweites Waͤldchen.
7.
Und das betraf nur die Schamhaftigkeit Vir- gils, als eines Schriftſtellers; nun war aber dieſe, wie mich duͤnkt, eben nicht das, was ich ſuchte. Hr. Kl. legt die Stellen Donatus und Servius zum Grunde a), und was koͤnnte alſo der Leſer er- warten, als daß er ſich uͤber dieſe Stellen, uͤber die Anſchuldigungen derſelben, kurz! uͤber die perſoͤnli- che Charakterſchamhaftigkeit Virgils erklaͤren moͤch- te; vielleicht aber, daß ihn ſeine Collektaneen uͤber dieſen Punkt verlaſſen haben; denn er lenket fein ar- tig ab. Donatus ſagt: Virgil ſoll ſchoͤne Kna- ben geliebet; er ſoll die Plotia Hieria gekannt; er ſoll in dieſem Punkte nicht die Jungfer geweſen ſeyn, fuͤr die er galt. Servius ſagt beinahe eben das; und Hr. Kl. haͤtte wiſſen koͤnnen, daß ſchon lange vorher auch Martial und Apulejus auch ſo Etwas geſagt hatten, daß es eine allgemeine Sa- ge von Virgil geweſen, das — kurz! alles das ſagt das Geruͤcht, und Hr. Kl. beweiſet, daß ſeine Aeneide, und die Gedichte ſeines Namens keine Hurenlieder ſind — wer will das bewieſen haben?
Hr. Kl. meynet zwar b), daß Eins das An- dre aufhebe; daß es eben ſo ſey, als wenn ihn je- mand fuͤr einen gelehrten Grammaticus hielte, und ihm doch zeige, daß er weder Griechiſch noch Latei-
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Zweites Waͤldchen.
7.
Und das betraf nur die Schamhaftigkeit Vir-
gils, als eines Schriftſtellers; nun war aber dieſe,
wie mich duͤnkt, eben nicht das, was ich ſuchte.
Hr. Kl. legt die Stellen Donatus und Servius
zum Grunde a), und was koͤnnte alſo der Leſer er-
warten, als daß er ſich uͤber dieſe Stellen, uͤber die
Anſchuldigungen derſelben, kurz! uͤber die perſoͤnli-
che Charakterſchamhaftigkeit Virgils erklaͤren moͤch-
te; vielleicht aber, daß ihn ſeine Collektaneen uͤber
dieſen Punkt verlaſſen haben; denn er lenket fein ar-
tig ab. Donatus ſagt: Virgil ſoll ſchoͤne Kna-
ben geliebet; er ſoll die Plotia Hieria gekannt;
er ſoll in dieſem Punkte nicht die Jungfer geweſen
ſeyn, fuͤr die er galt. Servius ſagt beinahe eben
das; und Hr. Kl. haͤtte wiſſen koͤnnen, daß ſchon
lange vorher auch Martial und Apulejus auch ſo
Etwas geſagt hatten, daß es eine allgemeine Sa-
ge von Virgil geweſen, das — kurz! alles das
ſagt das Geruͤcht, und Hr. Kl. beweiſet, daß ſeine
Aeneide, und die Gedichte ſeines Namens keine
Hurenlieder ſind — wer will das bewieſen haben?
Hr. Kl. meynet zwar b), daß Eins das An-
dre aufhebe; daß es eben ſo ſey, als wenn ihn je-
mand fuͤr einen gelehrten Grammaticus hielte, und
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/189>, abgerufen am 16.02.2025.
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