Wesen des Gedichts verflochten ist: diese Schäfer- stunde, dieser Eingang in die Höhle ist ein Haupt- knoten seiner Epopee:
Ille dies primus leti, primusque malorum Caussa fuit.
Wer ist nun schamhafter, der eine solche Sache, nur beiläufig, nur ihrem Antrage nach, nur als Cha- rakterzug, mitnahm; oder der sie in das Wesen seiner Epopee mit einknüpfte, der von ihr so viel abhan- gen läßt, der auf sie, als auf eine Haupthandlung, unser Auge richtet? -- Jenes thut Homer; dies Virgil -- wessen Muse verdient eher ein non probo?
Ueberdem ists unpassend, die junonische Liebes- scene in Homer mit der didonischen auch nur von weitem in Vergleich zu setzen a); sie sind so wenig zu parallelisiren, als Götter und Menschen über- haupt. So in Homer, als in Virgil, haben die Götter ihr eigenes Etiquette: und beiden setze man also Götter in Vergleichung, oder nichts. Da stehe also gegen den homerischen Jupiter und Ju- no b), ein virgilianischer Vulcan und Venus c), und wer malet schamhafter, der Grieche oder der Rö- mer? Der Grieche, der, uns bei den schönen Vor- bereitungen zu ergötzen, seine Kunst anleget; oder
der
a)p. 264.
b)Iliad.[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt].
c)Aeneid. VIII.
Kritiſche Waͤlder.
Weſen des Gedichts verflochten iſt: dieſe Schaͤfer- ſtunde, dieſer Eingang in die Hoͤhle iſt ein Haupt- knoten ſeiner Epopee:
Ille dies primus leti, primusque malorum Cauſſa fuit.
Wer iſt nun ſchamhafter, der eine ſolche Sache, nur beilaͤufig, nur ihrem Antrage nach, nur als Cha- rakterzug, mitnahm; oder der ſie in das Weſen ſeiner Epopee mit einknuͤpfte, der von ihr ſo viel abhan- gen laͤßt, der auf ſie, als auf eine Haupthandlung, unſer Auge richtet? — Jenes thut Homer; dies Virgil — weſſen Muſe verdient eher ein non probo?
Ueberdem iſts unpaſſend, die junoniſche Liebes- ſcene in Homer mit der didoniſchen auch nur von weitem in Vergleich zu ſetzen a); ſie ſind ſo wenig zu paralleliſiren, als Goͤtter und Menſchen uͤber- haupt. So in Homer, als in Virgil, haben die Goͤtter ihr eigenes Etiquette: und beiden ſetze man alſo Goͤtter in Vergleichung, oder nichts. Da ſtehe alſo gegen den homeriſchen Jupiter und Ju- no b), ein virgilianiſcher Vulcan und Venus c), und wer malet ſchamhafter, der Grieche oder der Roͤ- mer? Der Grieche, der, uns bei den ſchoͤnen Vor- bereitungen zu ergoͤtzen, ſeine Kunſt anleget; oder
der
a)p. 264.
b)Iliad.[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt].
c)Aeneid. VIII.
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Kritiſche Waͤlder.
Weſen des Gedichts verflochten iſt: dieſe Schaͤfer-
ſtunde, dieſer Eingang in die Hoͤhle iſt ein Haupt-
knoten ſeiner Epopee:
Ille dies primus leti, primusque malorum
Cauſſa fuit.
Wer iſt nun ſchamhafter, der eine ſolche Sache, nur
beilaͤufig, nur ihrem Antrage nach, nur als Cha-
rakterzug, mitnahm; oder der ſie in das Weſen ſeiner
Epopee mit einknuͤpfte, der von ihr ſo viel abhan-
gen laͤßt, der auf ſie, als auf eine Haupthandlung,
unſer Auge richtet? — Jenes thut Homer;
dies Virgil — weſſen Muſe verdient eher ein
non probo?
Ueberdem iſts unpaſſend, die junoniſche Liebes-
ſcene in Homer mit der didoniſchen auch nur von
weitem in Vergleich zu ſetzen a); ſie ſind ſo wenig
zu paralleliſiren, als Goͤtter und Menſchen uͤber-
haupt. So in Homer, als in Virgil, haben die
Goͤtter ihr eigenes Etiquette: und beiden ſetze man
alſo Goͤtter in Vergleichung, oder nichts. Da
ſtehe alſo gegen den homeriſchen Jupiter und Ju-
no b), ein virgilianiſcher Vulcan und Venus c),
und wer malet ſchamhafter, der Grieche oder der Roͤ-
mer? Der Grieche, der, uns bei den ſchoͤnen Vor-
bereitungen zu ergoͤtzen, ſeine Kunſt anleget; oder
der
a) p. 264.
b) Iliad. _.
c) Aeneid. VIII.
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/184>, abgerufen am 16.02.2025.
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