Hauptfigur vielmehr auslöschen. Und das ist doch der Klotzische Geschmack in allen eignen Schriftchen desselben. Hier trete ich in einen so großen Wald kahler fremder compilirter Stellen, daß mein Schriftsteller Virgil fast darunter verschwindet.
Um die Schamhaftigkeit Virgils zu beweisen? hat unser Autor da gewußt, was er beweisen soll: und hat er, was er zu beweisen scheint, bewiesen? Virgils Schamhaftigkeit kann zweierlei bedeuten: die Züchtigkeit seines persönlichen Charakters, oder seine Ehrbarkeit als Schriftsteller. Beide sind ganz verschiedne Sachen; Hr. Klotz hat sie nicht unterschieden; er beweiset auf alle beide los, und be- weiset keine.
Nicht recht die Schamhaftigkeit Virgils als Schriftsteller: Denn wodurch beweiset er sie? Durch das kakophaton? Er, das kakophaton eines Römers, eines antiksprechenden Dichters, eines gräcisiren- den epischen Dichters kennen, aufzählen, beurthei- len? Wer weiß es nicht, daß die feinsten Zweideu- tigkeiten blos auf dem schlüpfrigen Witze einiger Zeit- genossen, auf dem wandelbaren Eigensinne eines üp- pigen Sprachgebrauchs, oder Sprachmißbrauchs, beruhen? Wer weiß nicht, daß es am wenigsten zum kakophaton gehöre, wie ein Wort ausgespro- chen werde (quomodo veteres pronunciarint ver- baa)) sondern wie diese und jene Gesellschaft, die-
ser
a)p. 255.
Zweites Waͤldchen.
Hauptfigur vielmehr ausloͤſchen. Und das iſt doch der Klotziſche Geſchmack in allen eignen Schriftchen deſſelben. Hier trete ich in einen ſo großen Wald kahler fremder compilirter Stellen, daß mein Schriftſteller Virgil faſt darunter verſchwindet.
Um die Schamhaftigkeit Virgils zu beweiſen? hat unſer Autor da gewußt, was er beweiſen ſoll: und hat er, was er zu beweiſen ſcheint, bewieſen? Virgils Schamhaftigkeit kann zweierlei bedeuten: die Zuͤchtigkeit ſeines perſoͤnlichen Charakters, oder ſeine Ehrbarkeit als Schriftſteller. Beide ſind ganz verſchiedne Sachen; Hr. Klotz hat ſie nicht unterſchieden; er beweiſet auf alle beide los, und be- weiſet keine.
Nicht recht die Schamhaftigkeit Virgils als Schriftſteller: Denn wodurch beweiſet er ſie? Durch das κακοφατον? Er, das κακοφατον eines Roͤmers, eines antikſprechenden Dichters, eines graͤciſiren- den epiſchen Dichters kennen, aufzaͤhlen, beurthei- len? Wer weiß es nicht, daß die feinſten Zweideu- tigkeiten blos auf dem ſchluͤpfrigen Witze einiger Zeit- genoſſen, auf dem wandelbaren Eigenſinne eines uͤp- pigen Sprachgebrauchs, oder Sprachmißbrauchs, beruhen? Wer weiß nicht, daß es am wenigſten zum κακοφατον gehoͤre, wie ein Wort ausgeſpro- chen werde (quomodo veteres pronunciarint ver- baa)) ſondern wie dieſe und jene Geſellſchaft, die-
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Zweites Waͤldchen.
Hauptfigur vielmehr ausloͤſchen. Und das iſt doch
der Klotziſche Geſchmack in allen eignen Schriftchen
deſſelben. Hier trete ich in einen ſo großen Wald
kahler fremder compilirter Stellen, daß mein
Schriftſteller Virgil faſt darunter verſchwindet.
Um die Schamhaftigkeit Virgils zu beweiſen?
hat unſer Autor da gewußt, was er beweiſen ſoll:
und hat er, was er zu beweiſen ſcheint, bewieſen?
Virgils Schamhaftigkeit kann zweierlei bedeuten:
die Zuͤchtigkeit ſeines perſoͤnlichen Charakters, oder
ſeine Ehrbarkeit als Schriftſteller. Beide ſind
ganz verſchiedne Sachen; Hr. Klotz hat ſie nicht
unterſchieden; er beweiſet auf alle beide los, und be-
weiſet keine.
Nicht recht die Schamhaftigkeit Virgils als
Schriftſteller: Denn wodurch beweiſet er ſie? Durch
das κακοφατον? Er, das κακοφατον eines Roͤmers,
eines antikſprechenden Dichters, eines graͤciſiren-
den epiſchen Dichters kennen, aufzaͤhlen, beurthei-
len? Wer weiß es nicht, daß die feinſten Zweideu-
tigkeiten blos auf dem ſchluͤpfrigen Witze einiger Zeit-
genoſſen, auf dem wandelbaren Eigenſinne eines uͤp-
pigen Sprachgebrauchs, oder Sprachmißbrauchs,
beruhen? Wer weiß nicht, daß es am wenigſten
zum κακοφατον gehoͤre, wie ein Wort ausgeſpro-
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/181>, abgerufen am 16.07.2024.
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