Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
Klotzius hinten nach a): atque etiam, si accuratius
rem considero, homines quasi consensisse inter
se et firme statuisse videntur, vnam eamdemque
rem certis verbis expressam laedere pudorem, ean-
demque aliis enunciatam aequis auribus audiri et
salua verecundia.
Wie? wenn das der ganze Ur-
sprung der Schamhaftigkeit ist, daß eine und dieselbe
Sache mit gewissen Worten gesagt, schamhaft, mit
gewissen, schamlos sey -- welche Luftblase von
Schamhaftigkeit? Welche Thorheit, mit solcher
Luftblase kämpfen zu wollen? Welch ein würdiger
Vertrag, solche Augenblende zum heiligsten Ver-
bündnisse zu machen? O wenn man auf einer so
weitläuftigen Reise von Belesenheit im gelehrten
Utopien nichts mehr erlernet -- meine Condolenz
zur Wiederkunft mit allen gelehrten Citationen!

Loc. commun. II. Poetas inprimis decere
pudorem!
b) Wer hat an dem Regelchen je gezwei-
felt? Wer hat es aber auch je deßwegen geglaubt,
weil die Poesie das vortrefflichste Geschenk der Göt-
ter, weil es eine Narrheit ist, das selbst von sich zu
erwähnen, was kein andrer, ohne unsre bona fama
zu beleidigen, von uns erwähnen könnte u. s. w.
Elende Sachen!

Consect. Plinii opinio non probatur c). Die
citirte Stelle, bei welcher dieser Randtitel steht, ge-
hört meines Wissens dem Catull. Plinius hat

mit
a) p. 248. 249.
b) 249.
c) 250.

Kritiſche Waͤlder.
Klotzius hinten nach a): atque etiam, ſi accuratius
rem conſidero, homines quaſi conſenſiſſe inter
ſe et firme ſtatuiſſe videntur, vnam eamdemque
rem certis verbis expreſſam laedere pudorem, ean-
demque aliis enunciatam aequis auribus audiri et
ſalua verecundia.
Wie? wenn das der ganze Ur-
ſprung der Schamhaftigkeit iſt, daß eine und dieſelbe
Sache mit gewiſſen Worten geſagt, ſchamhaft, mit
gewiſſen, ſchamlos ſey — welche Luftblaſe von
Schamhaftigkeit? Welche Thorheit, mit ſolcher
Luftblaſe kaͤmpfen zu wollen? Welch ein wuͤrdiger
Vertrag, ſolche Augenblende zum heiligſten Ver-
buͤndniſſe zu machen? O wenn man auf einer ſo
weitlaͤuftigen Reiſe von Beleſenheit im gelehrten
Utopien nichts mehr erlernet — meine Condolenz
zur Wiederkunft mit allen gelehrten Citationen!

Loc. commun. II. Poetas inprimis decere
pudorem!
b) Wer hat an dem Regelchen je gezwei-
felt? Wer hat es aber auch je deßwegen geglaubt,
weil die Poeſie das vortrefflichſte Geſchenk der Goͤt-
ter, weil es eine Narrheit iſt, das ſelbſt von ſich zu
erwaͤhnen, was kein andrer, ohne unſre bona fama
zu beleidigen, von uns erwaͤhnen koͤnnte u. ſ. w.
Elende Sachen!

Conſect. Plinii opinio non probatur c). Die
citirte Stelle, bei welcher dieſer Randtitel ſteht, ge-
hoͤrt meines Wiſſens dem Catull. Plinius hat

mit
a) p. 248. 249.
b) 249.
c) 250.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0176" n="170"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/><hi rendition="#aq">Klotzius</hi> hinten nach <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 248. 249.</note>: <hi rendition="#i">atque etiam</hi>, <hi rendition="#aq">&#x017F;i</hi> <hi rendition="#i">accuratius</hi><lb/><hi rendition="#aq">rem con&#x017F;idero, homines qua&#x017F;i con&#x017F;en&#x017F;i&#x017F;&#x017F;e inter<lb/>
&#x017F;e et firme &#x017F;tatui&#x017F;&#x017F;e videntur, vnam eamdemque<lb/>
rem certis verbis expre&#x017F;&#x017F;am laedere pudorem, ean-<lb/>
demque aliis enunciatam aequis auribus audiri et<lb/>
&#x017F;alua verecundia.</hi> Wie? wenn das der ganze Ur-<lb/>
&#x017F;prung der Schamhaftigkeit i&#x017F;t, daß eine und die&#x017F;elbe<lb/>
Sache mit gewi&#x017F;&#x017F;en Worten ge&#x017F;agt, &#x017F;chamhaft, mit<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;chamlos &#x017F;ey &#x2014; welche Luftbla&#x017F;e von<lb/>
Schamhaftigkeit? Welche Thorheit, mit &#x017F;olcher<lb/>
Luftbla&#x017F;e ka&#x0364;mpfen zu wollen? Welch ein wu&#x0364;rdiger<lb/>
Vertrag, &#x017F;olche Augenblende zum heilig&#x017F;ten Ver-<lb/>
bu&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e zu machen? O wenn man auf einer &#x017F;o<lb/>
weitla&#x0364;uftigen Rei&#x017F;e von Bele&#x017F;enheit im gelehrten<lb/>
Utopien nichts mehr erlernet &#x2014; meine Condolenz<lb/>
zur Wiederkunft mit allen gelehrten Citationen!</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Loc. commun. II.</hi> Poetas inprimis decere<lb/>
pudorem!</hi><note place="foot" n="b)">249.</note> Wer hat an dem Regelchen je gezwei-<lb/>
felt? Wer hat es aber auch je deßwegen geglaubt,<lb/>
weil die Poe&#x017F;ie das vortrefflich&#x017F;te Ge&#x017F;chenk der Go&#x0364;t-<lb/>
ter, weil es eine Narrheit i&#x017F;t, das &#x017F;elb&#x017F;t von &#x017F;ich zu<lb/>
erwa&#x0364;hnen, was kein andrer, ohne un&#x017F;re <hi rendition="#aq">bona fama</hi><lb/>
zu beleidigen, von uns erwa&#x0364;hnen ko&#x0364;nnte u. &#x017F;. w.<lb/>
Elende Sachen!</p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Con&#x017F;ect.</hi> Plinii opinio non probatur</hi><note place="foot" n="c)">250.</note>. Die<lb/>
citirte Stelle, bei welcher die&#x017F;er Randtitel &#x017F;teht, ge-<lb/>
ho&#x0364;rt meines Wi&#x017F;&#x017F;ens dem Catull. Plinius hat<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mit</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0176] Kritiſche Waͤlder. Klotzius hinten nach a): atque etiam, ſi accuratius rem conſidero, homines quaſi conſenſiſſe inter ſe et firme ſtatuiſſe videntur, vnam eamdemque rem certis verbis expreſſam laedere pudorem, ean- demque aliis enunciatam aequis auribus audiri et ſalua verecundia. Wie? wenn das der ganze Ur- ſprung der Schamhaftigkeit iſt, daß eine und dieſelbe Sache mit gewiſſen Worten geſagt, ſchamhaft, mit gewiſſen, ſchamlos ſey — welche Luftblaſe von Schamhaftigkeit? Welche Thorheit, mit ſolcher Luftblaſe kaͤmpfen zu wollen? Welch ein wuͤrdiger Vertrag, ſolche Augenblende zum heiligſten Ver- buͤndniſſe zu machen? O wenn man auf einer ſo weitlaͤuftigen Reiſe von Beleſenheit im gelehrten Utopien nichts mehr erlernet — meine Condolenz zur Wiederkunft mit allen gelehrten Citationen! Loc. commun. II. Poetas inprimis decere pudorem! b) Wer hat an dem Regelchen je gezwei- felt? Wer hat es aber auch je deßwegen geglaubt, weil die Poeſie das vortrefflichſte Geſchenk der Goͤt- ter, weil es eine Narrheit iſt, das ſelbſt von ſich zu erwaͤhnen, was kein andrer, ohne unſre bona fama zu beleidigen, von uns erwaͤhnen koͤnnte u. ſ. w. Elende Sachen! Conſect. Plinii opinio non probatur c). Die citirte Stelle, bei welcher dieſer Randtitel ſteht, ge- hoͤrt meines Wiſſens dem Catull. Plinius hat mit a) p. 248. 249. b) 249. c) 250.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/176
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/176>, abgerufen am 03.05.2024.