Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. malend! a) -- Der wohllüstige Ehebrecher stehtuns vor Augen, der Menelaus sein schönes Weib entwenden, der aus dem Zweikampfe unrühmlich fliehen, der sogleich wieder in den Armen der Helena seinen Ort suchen konnte -- das ist Paris! Wir lassen den weichlichen Diener der Venus in den Ar- men der geraubten Gattinn, und kehren mit Ver- achtung seiner zu der Armee zurück, wo man ihn sucht, und nicht findet! wo Menelaus wohl nicht glaubt, daß er da sei, wo er ist. Homer schließt seinen Gesang. Wenn Homer für unsre Zeiten gesungen; frei- ner a) Daß ich nicht der Erste bin, der das in Homer fin-
det, mag Maximas Tyrius zeigen, der in seiner zweiten Rede von der. Sokratischen Liebe die Liebes- episoden in Homer genau und charaktermäßig claßi- ficirt. Zweites Waͤldchen. malend! a) — Der wohlluͤſtige Ehebrecher ſtehtuns vor Augen, der Menelaus ſein ſchoͤnes Weib entwenden, der aus dem Zweikampfe unruͤhmlich fliehen, der ſogleich wieder in den Armen der Helena ſeinen Ort ſuchen konnte — das iſt Paris! Wir laſſen den weichlichen Diener der Venus in den Ar- men der geraubten Gattinn, und kehren mit Ver- achtung ſeiner zu der Armee zuruͤck, wo man ihn ſucht, und nicht findet! wo Menelaus wohl nicht glaubt, daß er da ſei, wo er iſt. Homer ſchließt ſeinen Geſang. Wenn Homer fuͤr unſre Zeiten geſungen; frei- ner a) Daß ich nicht der Erſte bin, der das in Homer fin-
det, mag Maximas Tyrius zeigen, der in ſeiner zweiten Rede von der. Sokratiſchen Liebe die Liebes- epiſoden in Homer genau und charaktermaͤßig claßi- ficirt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0149" n="143"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweites Waͤldchen.</hi></fw><lb/> malend! <note place="foot" n="a)">Daß ich nicht der Erſte bin, der das in Homer fin-<lb/> det, mag <hi rendition="#fr">Maximas Tyrius</hi> zeigen, der in ſeiner<lb/> zweiten Rede von der. Sokratiſchen Liebe die Liebes-<lb/> epiſoden in Homer genau und charaktermaͤßig claßi-<lb/> ficirt.</note> — Der wohlluͤſtige Ehebrecher ſteht<lb/> uns vor Augen, der Menelaus ſein ſchoͤnes Weib<lb/> entwenden, der aus dem Zweikampfe unruͤhmlich<lb/> fliehen, der ſogleich wieder in den Armen der Helena<lb/> ſeinen Ort ſuchen konnte — das iſt Paris! Wir<lb/> laſſen den weichlichen Diener der Venus in den Ar-<lb/> men der geraubten Gattinn, und kehren mit Ver-<lb/> achtung ſeiner zu der Armee zuruͤck, wo man ihn<lb/> ſucht, und nicht findet! wo Menelaus wohl nicht<lb/> glaubt, daß er da ſei, wo er iſt. Homer ſchließt<lb/> ſeinen Geſang.</p><lb/> <p>Wenn Homer fuͤr unſre Zeiten geſungen; frei-<lb/> lich! ſo haͤtte er ſich aus dem anſtaͤndigen: <hi rendition="#aq">non<lb/> probo!</hi> eines ehrbaren Kunſtrichters, was machen,<lb/> oder nicht machen ſollen; was geht es mich an?<lb/> Aber jetzt, zu ſeiner Zeit auf eine ſo ſimple unſchul-<lb/> dige Art, als ers erzaͤhlet: nein! da finde ich keine<lb/> Spur von Anſtoͤßigen, Unehrbaren, Schamloſen:<lb/> nichts, was die Ehrbarkeit ſeiner Zuhoͤrer verletzt,<lb/> und die Wangen ſeiner epiſchen Muſe mit Scham-<lb/> roͤthe faͤrben darf: nichts, als einen ſehr charakte-<lb/> riſirenden Zug des Paris. Soll ich ihn in galante<lb/> Buſenverſuche eines franzoͤſiſchen Abbé, ſoll ich<lb/> das Betragen der Helena in zuͤchtige Agacerien ei-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ner</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [143/0149]
Zweites Waͤldchen.
malend! a) — Der wohlluͤſtige Ehebrecher ſteht
uns vor Augen, der Menelaus ſein ſchoͤnes Weib
entwenden, der aus dem Zweikampfe unruͤhmlich
fliehen, der ſogleich wieder in den Armen der Helena
ſeinen Ort ſuchen konnte — das iſt Paris! Wir
laſſen den weichlichen Diener der Venus in den Ar-
men der geraubten Gattinn, und kehren mit Ver-
achtung ſeiner zu der Armee zuruͤck, wo man ihn
ſucht, und nicht findet! wo Menelaus wohl nicht
glaubt, daß er da ſei, wo er iſt. Homer ſchließt
ſeinen Geſang.
Wenn Homer fuͤr unſre Zeiten geſungen; frei-
lich! ſo haͤtte er ſich aus dem anſtaͤndigen: non
probo! eines ehrbaren Kunſtrichters, was machen,
oder nicht machen ſollen; was geht es mich an?
Aber jetzt, zu ſeiner Zeit auf eine ſo ſimple unſchul-
dige Art, als ers erzaͤhlet: nein! da finde ich keine
Spur von Anſtoͤßigen, Unehrbaren, Schamloſen:
nichts, was die Ehrbarkeit ſeiner Zuhoͤrer verletzt,
und die Wangen ſeiner epiſchen Muſe mit Scham-
roͤthe faͤrben darf: nichts, als einen ſehr charakte-
riſirenden Zug des Paris. Soll ich ihn in galante
Buſenverſuche eines franzoͤſiſchen Abbé, ſoll ich
das Betragen der Helena in zuͤchtige Agacerien ei-
ner
a) Daß ich nicht der Erſte bin, der das in Homer fin-
det, mag Maximas Tyrius zeigen, der in ſeiner
zweiten Rede von der. Sokratiſchen Liebe die Liebes-
epiſoden in Homer genau und charaktermaͤßig claßi-
ficirt.
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