[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. die elegischen Liebesgesänge dieser Nation, die sichdurch nichts, als an Bardenliedern voll tragischer Heldenthaten, und voll tragischer Heldenliebe ergötz- ten? Nichts, selbst aus dem griechischen Alterthume nichts! Die Liebe der Griechen, ihre sanften Em- pfindungen und Klagen, sind weicher und wortströ- mend, wenn ich sie mit diesen Barbarn vergleiche, bey denen die Liebe in stolzer, in heldenstolzer Seele wohnte, sich zu einer sanften Schwärmerei, zu ei- ner erhabnen Heldenzärtlichkeit hob, und auch in den Elegien der Liebe durch große Gesinnungen rüh- ret, und bezaubert. Die gewässerten Klagen un- serer Elegisten ermüden mein Ohr; aber dort, in diesem feierlichen Alterthume, dort tönet eine Me- lancholie der Liebe, die uns lehret, daß "nicht blos der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer seyn könne", der barbarische Schotte könne es besser. Vielleicht aber war dies nur so mit Einer Em- schwemmt
Kritiſche Waͤlder. die elegiſchen Liebesgeſaͤnge dieſer Nation, die ſichdurch nichts, als an Bardenliedern voll tragiſcher Heldenthaten, und voll tragiſcher Heldenliebe ergoͤtz- ten? Nichts, ſelbſt aus dem griechiſchen Alterthume nichts! Die Liebe der Griechen, ihre ſanften Em- pfindungen und Klagen, ſind weicher und wortſtroͤ- mend, wenn ich ſie mit dieſen Barbarn vergleiche, bey denen die Liebe in ſtolzer, in heldenſtolzer Seele wohnte, ſich zu einer ſanften Schwaͤrmerei, zu ei- ner erhabnen Heldenzaͤrtlichkeit hob, und auch in den Elegien der Liebe durch große Geſinnungen ruͤh- ret, und bezaubert. Die gewaͤſſerten Klagen un- ſerer Elegiſten ermuͤden mein Ohr; aber dort, in dieſem feierlichen Alterthume, dort toͤnet eine Me- lancholie der Liebe, die uns lehret, daß „nicht blos der geſittete Grieche zugleich weinen und tapfer ſeyn koͤnne„, der barbariſche Schotte koͤnne es beſſer. Vielleicht aber war dies nur ſo mit Einer Em- ſchwemmt
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Kritiſche Waͤlder.
die elegiſchen Liebesgeſaͤnge dieſer Nation, die ſich
durch nichts, als an Bardenliedern voll tragiſcher
Heldenthaten, und voll tragiſcher Heldenliebe ergoͤtz-
ten? Nichts, ſelbſt aus dem griechiſchen Alterthume
nichts! Die Liebe der Griechen, ihre ſanften Em-
pfindungen und Klagen, ſind weicher und wortſtroͤ-
mend, wenn ich ſie mit dieſen Barbarn vergleiche,
bey denen die Liebe in ſtolzer, in heldenſtolzer Seele
wohnte, ſich zu einer ſanften Schwaͤrmerei, zu ei-
ner erhabnen Heldenzaͤrtlichkeit hob, und auch in
den Elegien der Liebe durch große Geſinnungen ruͤh-
ret, und bezaubert. Die gewaͤſſerten Klagen un-
ſerer Elegiſten ermuͤden mein Ohr; aber dort, in
dieſem feierlichen Alterthume, dort toͤnet eine Me-
lancholie der Liebe, die uns lehret, daß „nicht blos
der geſittete Grieche zugleich weinen und tapfer
ſeyn koͤnne„, der barbariſche Schotte koͤnne es
beſſer.
Vielleicht aber war dies nur ſo mit Einer Em-
pfindung der Menſchlichkeit, indeß alle andre von
Tapferkeit erſtickt werden mußten? Wie kann doch
Eine Statt finden, ohne zugleich Allen Raum zu
machen? Die elegiſche Stimme der Schotten iſt in
der Vater-in der Geſchlechtsliebe eben ſo ſuͤß
und tapfer, als in der Weiberliebe. Man weiß,
was in den alten Zeiten der Ruhm des Stammes
galt: eine Empfindung, die bis auf den dummen
Ahnenſtolz aus den Seelen unſerer Zeiten wegge-
ſchwemmt
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