Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Wäldchen.
dungen der Menschheit werden sich in ein Helden-
gewand kleiden, und der Sinn des Helden sich wie-
derum der menschlichen Thräne nicht schämen -- es
sei unter einem Volke, wo es wolle!

Und wie? wenn wir ein solches Volk auch mit-
ten unter nordischen Gebirgen; mitten unter Bar-
barn, selbst unter dem Namen eines barbarischen
Volks begriffen, und mit nichts als Kriegen be-
schäfftigt, auffänden? und welches doch gleich fern
von Griechenland, als von seinen Sitten, alle die
menschliche Empfindbarkeit zeigte, die kaum ein
Grieche gezeigt hat -- bliebe da noch der Gegen-
satz so ganz vest: "Unsere nordische Urältern wa-
"ren Barbarn. Alle Schmerzen verbeißen, dem
"Streiche des Todes mit unverwandtem Auge ent-
"gegen sehen, weder seine Sünde noch den Verlust
"seines liebsten Freundes beweinen, sind Züge des
"alten nordischen Heldenmuths.
Nicht so der
"Grieche! a)" Wenn ich nun hier einfiele und
fortführe: Nicht so der Schotte, der Celte, der
Jrre!" er äußerte seine Schmerzen und Kummer;
er schämte sich keiner der menschlichen Schwachhei-
ten; keine mußte ihn aber auf dem Wege zur Ehre,
und von Erfüllung seiner Pflicht zurückhalten,
"So hätte ich für meine Barbarn alles gesagt,
was L. von seinen Griechen, im Contrast mit den
nordischen Barbarn, und doch für meine nordische
Barbarn noch nicht gnug.

Jch
a) Laok. p. 6.
C 3

Erſtes Waͤldchen.
dungen der Menſchheit werden ſich in ein Helden-
gewand kleiden, und der Sinn des Helden ſich wie-
derum der menſchlichen Thraͤne nicht ſchaͤmen — es
ſei unter einem Volke, wo es wolle!

Und wie? wenn wir ein ſolches Volk auch mit-
ten unter nordiſchen Gebirgen; mitten unter Bar-
barn, ſelbſt unter dem Namen eines barbariſchen
Volks begriffen, und mit nichts als Kriegen be-
ſchaͤfftigt, auffaͤnden? und welches doch gleich fern
von Griechenland, als von ſeinen Sitten, alle die
menſchliche Empfindbarkeit zeigte, die kaum ein
Grieche gezeigt hat — bliebe da noch der Gegen-
ſatz ſo ganz veſt: „Unſere nordiſche Uraͤltern wa-
„ren Barbarn. Alle Schmerzen verbeißen, dem
„Streiche des Todes mit unverwandtem Auge ent-
„gegen ſehen, weder ſeine Suͤnde noch den Verluſt
„ſeines liebſten Freundes beweinen, ſind Zuͤge des
„alten nordiſchen Heldenmuths.
Nicht ſo der
„Grieche! a)„ Wenn ich nun hier einfiele und
fortfuͤhre: Nicht ſo der Schotte, der Celte, der
Jrre!„ er aͤußerte ſeine Schmerzen und Kummer;
er ſchaͤmte ſich keiner der menſchlichen Schwachhei-
ten; keine mußte ihn aber auf dem Wege zur Ehre,
und von Erfuͤllung ſeiner Pflicht zuruͤckhalten,
„So haͤtte ich fuͤr meine Barbarn alles geſagt,
was L. von ſeinen Griechen, im Contraſt mit den
nordiſchen Barbarn, und doch fuͤr meine nordiſche
Barbarn noch nicht gnug.

Jch
a) Laok. p. 6.
C 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0043" n="37"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
dungen der Men&#x017F;chheit werden &#x017F;ich in ein Helden-<lb/>
gewand kleiden, und der Sinn des Helden &#x017F;ich wie-<lb/>
derum der men&#x017F;chlichen Thra&#x0364;ne nicht &#x017F;cha&#x0364;men &#x2014; es<lb/>
&#x017F;ei unter einem Volke, wo es wolle!</p><lb/>
          <p>Und wie? wenn wir ein &#x017F;olches Volk auch mit-<lb/>
ten unter nordi&#x017F;chen Gebirgen; mitten unter Bar-<lb/>
barn, &#x017F;elb&#x017F;t unter dem Namen eines barbari&#x017F;chen<lb/>
Volks begriffen, und mit nichts als Kriegen be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;fftigt, auffa&#x0364;nden? und welches doch gleich fern<lb/>
von Griechenland, als von &#x017F;einen Sitten, alle die<lb/>
men&#x017F;chliche Empfindbarkeit zeigte, die kaum ein<lb/>
Grieche gezeigt hat &#x2014; bliebe da noch der Gegen-<lb/>
&#x017F;atz &#x017F;o ganz ve&#x017F;t: &#x201E;Un&#x017F;ere nordi&#x017F;che Ura&#x0364;ltern wa-<lb/>
&#x201E;ren Barbarn. Alle Schmerzen verbeißen, dem<lb/>
&#x201E;Streiche des Todes mit unverwandtem Auge ent-<lb/>
&#x201E;gegen &#x017F;ehen, weder &#x017F;eine Su&#x0364;nde noch den Verlu&#x017F;t<lb/>
&#x201E;&#x017F;eines lieb&#x017F;ten Freundes beweinen, &#x017F;ind Zu&#x0364;ge <hi rendition="#fr">des<lb/>
&#x201E;alten nordi&#x017F;chen Heldenmuths.</hi> Nicht &#x017F;o der<lb/>
&#x201E;Grieche! <note place="foot" n="a)">Laok. <hi rendition="#aq">p.</hi> 6.</note>&#x201E; Wenn ich nun hier einfiele und<lb/>
fortfu&#x0364;hre: Nicht &#x017F;o der Schotte, der Celte, der<lb/>
Jrre!&#x201E; er a&#x0364;ußerte &#x017F;eine Schmerzen und Kummer;<lb/>
er &#x017F;cha&#x0364;mte &#x017F;ich keiner der men&#x017F;chlichen Schwachhei-<lb/>
ten; keine mußte ihn aber auf dem Wege zur Ehre,<lb/>
und von Erfu&#x0364;llung &#x017F;einer Pflicht zuru&#x0364;ckhalten,<lb/>
&#x201E;So ha&#x0364;tte ich fu&#x0364;r meine Barbarn alles ge&#x017F;agt,<lb/>
was L. von &#x017F;einen Griechen, im Contra&#x017F;t mit den<lb/>
nordi&#x017F;chen Barbarn, und doch fu&#x0364;r meine nordi&#x017F;che<lb/>
Barbarn noch nicht gnug.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">C 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0043] Erſtes Waͤldchen. dungen der Menſchheit werden ſich in ein Helden- gewand kleiden, und der Sinn des Helden ſich wie- derum der menſchlichen Thraͤne nicht ſchaͤmen — es ſei unter einem Volke, wo es wolle! Und wie? wenn wir ein ſolches Volk auch mit- ten unter nordiſchen Gebirgen; mitten unter Bar- barn, ſelbſt unter dem Namen eines barbariſchen Volks begriffen, und mit nichts als Kriegen be- ſchaͤfftigt, auffaͤnden? und welches doch gleich fern von Griechenland, als von ſeinen Sitten, alle die menſchliche Empfindbarkeit zeigte, die kaum ein Grieche gezeigt hat — bliebe da noch der Gegen- ſatz ſo ganz veſt: „Unſere nordiſche Uraͤltern wa- „ren Barbarn. Alle Schmerzen verbeißen, dem „Streiche des Todes mit unverwandtem Auge ent- „gegen ſehen, weder ſeine Suͤnde noch den Verluſt „ſeines liebſten Freundes beweinen, ſind Zuͤge des „alten nordiſchen Heldenmuths. Nicht ſo der „Grieche! a)„ Wenn ich nun hier einfiele und fortfuͤhre: Nicht ſo der Schotte, der Celte, der Jrre!„ er aͤußerte ſeine Schmerzen und Kummer; er ſchaͤmte ſich keiner der menſchlichen Schwachhei- ten; keine mußte ihn aber auf dem Wege zur Ehre, und von Erfuͤllung ſeiner Pflicht zuruͤckhalten, „So haͤtte ich fuͤr meine Barbarn alles geſagt, was L. von ſeinen Griechen, im Contraſt mit den nordiſchen Barbarn, und doch fuͤr meine nordiſche Barbarn noch nicht gnug. Jch a) Laok. p. 6. C 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/43
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/43>, abgerufen am 28.04.2024.