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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Erstes Wäldchen.
Mendelsohn ab, der Ekel nur in den niedrigen
Sinnen Geschmack, Geruch und Gefühl; nicht
aber in Gegenständen des Gesichts, und kaum des
Gehörs finden will a). Der Sprachgebrauch, der
in Sachen, wo es auf nichts als Gefühl ankommt,
immer gehört werden kann, scheint auf der Seite
des letztern Philosophen; nur, wenn ich nicht irre,
mit folgenden Unterscheidungen.

Jm eigentlichen Verstande scheint Ekel dem
Sinne des Geschmacks zuzukommen; nicht aber
blos übermäßige Süßigkeit b), sondern jede widrige
Berührung unserer Geschmacksnerven verursachet
Ekel. Daher die große Verschiedenheit des Ge-
schmacks auf verschiedenen Zungen, nachdem ihre
Fibern so und nicht anders gestimmt sind, so und
nicht anders angenehm oder widrig werden kön-
nen. Hier ist also Ekel eine Haupteigenschaft
des Uebelgeschmacks, der nicht von der zu langen
Dauer einförmiger Berührungen unsrer Ge-
schmacksfibern, wie Hr. Mendelsohn meinet: son-
dern, wie ich glaube, von jeder unserer Natur widri-
gen Berührung derselben herrühret. Gewisse Ge-
schmacksarten sind ekelhaft nach der allgemeinen
Empfindung; andere nach dem Eigensinne Einer
Natur, das ist, nach der besondern Spannung der

Fi-
a) Litt. Br. Th. 5. S. 107.
b) Litt. Br. eb. das.
R 5

Erſtes Waͤldchen.
Mendelſohn ab, der Ekel nur in den niedrigen
Sinnen Geſchmack, Geruch und Gefuͤhl; nicht
aber in Gegenſtaͤnden des Geſichts, und kaum des
Gehoͤrs finden will a). Der Sprachgebrauch, der
in Sachen, wo es auf nichts als Gefuͤhl ankommt,
immer gehoͤrt werden kann, ſcheint auf der Seite
des letztern Philoſophen; nur, wenn ich nicht irre,
mit folgenden Unterſcheidungen.

Jm eigentlichen Verſtande ſcheint Ekel dem
Sinne des Geſchmacks zuzukommen; nicht aber
blos uͤbermaͤßige Suͤßigkeit b), ſondern jede widrige
Beruͤhrung unſerer Geſchmacksnerven verurſachet
Ekel. Daher die große Verſchiedenheit des Ge-
ſchmacks auf verſchiedenen Zungen, nachdem ihre
Fibern ſo und nicht anders geſtimmt ſind, ſo und
nicht anders angenehm oder widrig werden koͤn-
nen. Hier iſt alſo Ekel eine Haupteigenſchaft
des Uebelgeſchmacks, der nicht von der zu langen
Dauer einfoͤrmiger Beruͤhrungen unſrer Ge-
ſchmacksfibern, wie Hr. Mendelſohn meinet: ſon-
dern, wie ich glaube, von jeder unſerer Natur widri-
gen Beruͤhrung derſelben herruͤhret. Gewiſſe Ge-
ſchmacksarten ſind ekelhaft nach der allgemeinen
Empfindung; andere nach dem Eigenſinne Einer
Natur, das iſt, nach der beſondern Spannung der

Fi-
a) Litt. Br. Th. 5. S. 107.
b) Litt. Br. eb. daſ.
R 5
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[265/0271] Erſtes Waͤldchen. Mendelſohn ab, der Ekel nur in den niedrigen Sinnen Geſchmack, Geruch und Gefuͤhl; nicht aber in Gegenſtaͤnden des Geſichts, und kaum des Gehoͤrs finden will a). Der Sprachgebrauch, der in Sachen, wo es auf nichts als Gefuͤhl ankommt, immer gehoͤrt werden kann, ſcheint auf der Seite des letztern Philoſophen; nur, wenn ich nicht irre, mit folgenden Unterſcheidungen. Jm eigentlichen Verſtande ſcheint Ekel dem Sinne des Geſchmacks zuzukommen; nicht aber blos uͤbermaͤßige Suͤßigkeit b), ſondern jede widrige Beruͤhrung unſerer Geſchmacksnerven verurſachet Ekel. Daher die große Verſchiedenheit des Ge- ſchmacks auf verſchiedenen Zungen, nachdem ihre Fibern ſo und nicht anders geſtimmt ſind, ſo und nicht anders angenehm oder widrig werden koͤn- nen. Hier iſt alſo Ekel eine Haupteigenſchaft des Uebelgeſchmacks, der nicht von der zu langen Dauer einfoͤrmiger Beruͤhrungen unſrer Ge- ſchmacksfibern, wie Hr. Mendelſohn meinet: ſon- dern, wie ich glaube, von jeder unſerer Natur widri- gen Beruͤhrung derſelben herruͤhret. Gewiſſe Ge- ſchmacksarten ſind ekelhaft nach der allgemeinen Empfindung; andere nach dem Eigenſinne Einer Natur, das iſt, nach der beſondern Spannung der Fi- a) Litt. Br. Th. 5. S. 107. b) Litt. Br. eb. daſ. R 5

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/271>, abgerufen am 23.11.2024.