[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. wenn Ariost selbst eine Alcina sähe, würde er viel-leicht auf solchem Wege -- Und überhaupt kann man hier aus einer Vergleichung wenig folgern. Homer mahlt seine Helena nicht a); warum? weil sie ihn nicht angehet, weil er von Anfange bis zu Ende seines Gedichts nicht zu der Frage Zeit hat: wie sahe sie aus? sondern immer, was trug sich hier und damit zu? Helena kommt, die Greise sehen sie: wie anders, als daß sie fühlen und sagen mußten, was sie fühlen und sagten; nicht aber läßt Homer sie das fühlen und sagen, um "durch Wirkung "anzuzeigen, daß Helena schön sey;" -- Ariost hingegen, der Homer Jtaliens, der aber vom grie- chischen Homer Alles eher, als dies beständige Fort- schreiten der Handlung hat, Ariost, der sein ganzes Gedicht durch nicht das Werk zu seiner Manier macht: Es ward, es ward, es ward, sondern auch "es war," und "wie war es?" Ariost hätte ent- weder so nicht fragen sollen, oder er mußte uns durch die Theile führen. -- Nicht, daß wir nachher die Theile sammlen, zusammensetzen; nicht, daß nach- her die Phantasie streben soll, sich das Ganze Ei- nes Kunstwerks zu denken; im Schildern selbst, im Durchführen durch seine Theile hat er seinen Zweck erreichen wollen -- ob er ihn erreicht? Davon mag jeder denken was er will; gnug, er wollte ihn während der Energie erreichen. Wenn a) p. 201. 215.
Kritiſche Waͤlder. wenn Arioſt ſelbſt eine Alcina ſaͤhe, wuͤrde er viel-leicht auf ſolchem Wege — Und uͤberhaupt kann man hier aus einer Vergleichung wenig folgern. Homer mahlt ſeine Helena nicht a); warum? weil ſie ihn nicht angehet, weil er von Anfange bis zu Ende ſeines Gedichts nicht zu der Frage Zeit hat: wie ſahe ſie aus? ſondern immer, was trug ſich hier und damit zu? Helena kommt, die Greiſe ſehen ſie: wie anders, als daß ſie fuͤhlen und ſagen mußten, was ſie fuͤhlen und ſagten; nicht aber laͤßt Homer ſie das fuͤhlen und ſagen, um „durch Wirkung „anzuzeigen, daß Helena ſchoͤn ſey;„ — Arioſt hingegen, der Homer Jtaliens, der aber vom grie- chiſchen Homer Alles eher, als dies beſtaͤndige Fort- ſchreiten der Handlung hat, Arioſt, der ſein ganzes Gedicht durch nicht das Werk zu ſeiner Manier macht: Es ward, es ward, es ward, ſondern auch „es war,„ und „wie war es?„ Arioſt haͤtte ent- weder ſo nicht fragen ſollen, oder er mußte uns durch die Theile fuͤhren. — Nicht, daß wir nachher die Theile ſammlen, zuſammenſetzen; nicht, daß nach- her die Phantaſie ſtreben ſoll, ſich das Ganze Ei- nes Kunſtwerks zu denken; im Schildern ſelbſt, im Durchfuͤhren durch ſeine Theile hat er ſeinen Zweck erreichen wollen — ob er ihn erreicht? Davon mag jeder denken was er will; gnug, er wollte ihn waͤhrend der Energie erreichen. Wenn a) p. 201. 215.
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Kritiſche Waͤlder.
wenn Arioſt ſelbſt eine Alcina ſaͤhe, wuͤrde er viel-
leicht auf ſolchem Wege — Und uͤberhaupt kann
man hier aus einer Vergleichung wenig folgern.
Homer mahlt ſeine Helena nicht a); warum? weil
ſie ihn nicht angehet, weil er von Anfange bis zu
Ende ſeines Gedichts nicht zu der Frage Zeit hat:
wie ſahe ſie aus? ſondern immer, was trug ſich hier
und damit zu? Helena kommt, die Greiſe ſehen ſie:
wie anders, als daß ſie fuͤhlen und ſagen mußten,
was ſie fuͤhlen und ſagten; nicht aber laͤßt Homer
ſie das fuͤhlen und ſagen, um „durch Wirkung
„anzuzeigen, daß Helena ſchoͤn ſey;„ — Arioſt
hingegen, der Homer Jtaliens, der aber vom grie-
chiſchen Homer Alles eher, als dies beſtaͤndige Fort-
ſchreiten der Handlung hat, Arioſt, der ſein ganzes
Gedicht durch nicht das Werk zu ſeiner Manier
macht: Es ward, es ward, es ward, ſondern auch
„es war,„ und „wie war es?„ Arioſt haͤtte ent-
weder ſo nicht fragen ſollen, oder er mußte uns durch
die Theile fuͤhren. — Nicht, daß wir nachher die
Theile ſammlen, zuſammenſetzen; nicht, daß nach-
her die Phantaſie ſtreben ſoll, ſich das Ganze Ei-
nes Kunſtwerks zu denken; im Schildern ſelbſt, im
Durchfuͤhren durch ſeine Theile hat er ſeinen Zweck
erreichen wollen — ob er ihn erreicht? Davon
mag jeder denken was er will; gnug, er wollte ihn
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Wenn
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