[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. als eine Art von Gemälde, von Gebäude, vonKunstwerke zu betrachten, wo alle Theile zu ihrem Hauptzwecke, dem Ganzen mitwirken sollen Bei allen ist der Hauptzweck poetische Täuschung; bei allen aber auf verschiedne Art. Die hohe wunder- bare Jllusion, zu der mich die Epopee bezaubert, ist nicht die kleine süße Empfindung, mit der mich das anakreontische Lied beseelen will; noch der tragische Affekt, in den mich ein Trauerspiel versetzet -- in- dessen arbeitet jedes auf seine Täuschung, nach sei- ner Art, mit seinen Mitteln, etwas im vollkom- mensten Grade anschauend vorzustellen; es sey nun dies Etwas epische Handlung, oder tragische Hand- lung, oder eine einige anakreontische Empfindung, oder ein vollendetes Ganze pindarischer Bilder, oder -- alles muß indessen innerhalb seiner Gränzen, aus seinen Mitteln und seinem Zwecke beurtheilt werden. Keine pindarische Ode also als eine Epopee, dre, P
Erſtes Waͤldchen. als eine Art von Gemaͤlde, von Gebaͤude, vonKunſtwerke zu betrachten, wo alle Theile zu ihrem Hauptzwecke, dem Ganzen mitwirken ſollen Bei allen iſt der Hauptzweck poetiſche Taͤuſchung; bei allen aber auf verſchiedne Art. Die hohe wunder- bare Jlluſion, zu der mich die Epopee bezaubert, iſt nicht die kleine ſuͤße Empfindung, mit der mich das anakreontiſche Lied beſeelen will; noch der tragiſche Affekt, in den mich ein Trauerſpiel verſetzet — in- deſſen arbeitet jedes auf ſeine Taͤuſchung, nach ſei- ner Art, mit ſeinen Mitteln, etwas im vollkom- menſten Grade anſchauend vorzuſtellen; es ſey nun dies Etwas epiſche Handlung, oder tragiſche Hand- lung, oder eine einige anakreontiſche Empfindung, oder ein vollendetes Ganze pindariſcher Bilder, oder — alles muß indeſſen innerhalb ſeiner Graͤnzen, aus ſeinen Mitteln und ſeinem Zwecke beurtheilt werden. Keine pindariſche Ode alſo als eine Epopee, dre, P
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Erſtes Waͤldchen.
als eine Art von Gemaͤlde, von Gebaͤude, von
Kunſtwerke zu betrachten, wo alle Theile zu ihrem
Hauptzwecke, dem Ganzen mitwirken ſollen Bei
allen iſt der Hauptzweck poetiſche Taͤuſchung; bei
allen aber auf verſchiedne Art. Die hohe wunder-
bare Jlluſion, zu der mich die Epopee bezaubert, iſt
nicht die kleine ſuͤße Empfindung, mit der mich das
anakreontiſche Lied beſeelen will; noch der tragiſche
Affekt, in den mich ein Trauerſpiel verſetzet — in-
deſſen arbeitet jedes auf ſeine Taͤuſchung, nach ſei-
ner Art, mit ſeinen Mitteln, etwas im vollkom-
menſten Grade anſchauend vorzuſtellen; es ſey nun
dies Etwas epiſche Handlung, oder tragiſche Hand-
lung, oder eine einige anakreontiſche Empfindung,
oder ein vollendetes Ganze pindariſcher Bilder, oder
— alles muß indeſſen innerhalb ſeiner Graͤnzen,
aus ſeinen Mitteln und ſeinem Zwecke beurtheilt
werden.
Keine pindariſche Ode alſo als eine Epopee,
der das Fortſchreitende fehle: kein Lied als ein Bild,
dem der Umriß mangele: kein Lehrgedicht als eine
Fabel, und kein Fabelgedicht, als beſchreibende
Poeſie. Sobald wir nicht um ein Wort „Poe-
„ſie, Poem„ ſtreiten wollen; ſo hat jede eingefuͤhr-
te Gedichtart ihr eignes Jdeal — eine ein hoͤhe-
res, ſchwereres, groͤßeres, als eine andre; jede aber
ihr eigenes. Aus einer muß ich nicht auf die an-
dre,
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