Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Wäldchen.
die unwichtigen Gründe a), womit man ein Genie,
das zu interpretiren da ist, vom Homer abfchrecken,
und hinwegsegnen will. Wie? wenn Pope auch so
gedacht hätte: wo wäre der englische Homer geblie-
ben? und wird wohl ein vernünftiger Engländer,
der Homer griechisch lesen kann, ihn nicht lesen wol-
len -- weil ihn Pope englisch geliefert? -- --

Wenn dies gute Wort über Homer hier nicht
völlig an seiner Stelle steht: so hätte es doch irgend-
wo anders eine Stelle verdient, und ich fahre fort.
"Es ist unmöglich, sagt Hr. L. b), die musikalische
"Malerei, welche die Worte des Dichters mit hö-
"ren lassen, in eine andre Sprache überzutragen,"
und an einem andern Orte c), wo er die fortschrei-
tende Manier Homers vortrefflich entwickelt, ent-
geht ihm auch nicht der Vortheil, den ihm seine
Sprache gewährte, "die ihm nicht allein alle mög-
"liche Freiheit in Häufung und Zusammensetzung
"der Beiwörter läßt, sondern auch für diese gehäuf-
"ten Beiwörter eine so glückliche Ordnung hat, daß
"der nachtheiligen Suspension ihrer Beziehung da-
"durch abgeholfen wird. An einer oder mehrern
"dieser Bequemlichkeiten fehlt es den neuern Spra-
"chen durchgängig. Auch unsre Sprache hat sie
"nicht, oder welches einerlei ist, sie kann sie nur
"selten ohne Zweideutigkeit nutzen." Mir haben

diese
a) Riedels Leben Meinhards p. 60 61.
b) Laok. 143.
c) Laok. p. 180.

Erſtes Waͤldchen.
die unwichtigen Gruͤnde a), womit man ein Genie,
das zu interpretiren da iſt, vom Homer abfchrecken,
und hinwegſegnen will. Wie? wenn Pope auch ſo
gedacht haͤtte: wo waͤre der engliſche Homer geblie-
ben? und wird wohl ein vernuͤnftiger Englaͤnder,
der Homer griechiſch leſen kann, ihn nicht leſen wol-
len — weil ihn Pope engliſch geliefert? — —

Wenn dies gute Wort uͤber Homer hier nicht
voͤllig an ſeiner Stelle ſteht: ſo haͤtte es doch irgend-
wo anders eine Stelle verdient, und ich fahre fort.
„Es iſt unmoͤglich, ſagt Hr. L. b), die muſikaliſche
„Malerei, welche die Worte des Dichters mit hoͤ-
„ren laſſen, in eine andre Sprache uͤberzutragen,„
und an einem andern Orte c), wo er die fortſchrei-
tende Manier Homers vortrefflich entwickelt, ent-
geht ihm auch nicht der Vortheil, den ihm ſeine
Sprache gewaͤhrte, „die ihm nicht allein alle moͤg-
„liche Freiheit in Haͤufung und Zuſammenſetzung
„der Beiwoͤrter laͤßt, ſondern auch fuͤr dieſe gehaͤuf-
„ten Beiwoͤrter eine ſo gluͤckliche Ordnung hat, daß
„der nachtheiligen Suſpenſion ihrer Beziehung da-
„durch abgeholfen wird. An einer oder mehrern
„dieſer Bequemlichkeiten fehlt es den neuern Spra-
„chen durchgaͤngig. Auch unſre Sprache hat ſie
„nicht, oder welches einerlei iſt, ſie kann ſie nur
„ſelten ohne Zweideutigkeit nutzen.„ Mir haben

dieſe
a) Riedels Leben Meinhards p. 60 61.
b) Laok. 143.
c) Laok. p. 180.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0193" n="187"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
die unwichtigen Gru&#x0364;nde <note place="foot" n="a)">Riedels Leben Meinhards <hi rendition="#aq">p.</hi> 60 61.</note>, womit man ein Genie,<lb/>
das zu interpretiren da i&#x017F;t, vom Homer abfchrecken,<lb/>
und hinweg&#x017F;egnen will. Wie? wenn Pope auch &#x017F;o<lb/>
gedacht ha&#x0364;tte: wo wa&#x0364;re der engli&#x017F;che Homer geblie-<lb/>
ben? und wird wohl ein vernu&#x0364;nftiger Engla&#x0364;nder,<lb/>
der Homer griechi&#x017F;ch le&#x017F;en kann, ihn nicht le&#x017F;en wol-<lb/>
len &#x2014; weil ihn Pope engli&#x017F;ch geliefert? &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wenn dies gute Wort u&#x0364;ber Homer hier nicht<lb/>
vo&#x0364;llig an &#x017F;einer Stelle &#x017F;teht: &#x017F;o ha&#x0364;tte es doch irgend-<lb/>
wo anders eine Stelle verdient, und ich fahre fort.<lb/>
&#x201E;Es i&#x017F;t unmo&#x0364;glich, &#x017F;agt Hr. L. <note place="foot" n="b)">Laok. 143.</note>, die mu&#x017F;ikali&#x017F;che<lb/>
&#x201E;Malerei, welche die Worte des Dichters mit ho&#x0364;-<lb/>
&#x201E;ren la&#x017F;&#x017F;en, in eine andre Sprache u&#x0364;berzutragen,&#x201E;<lb/>
und an einem andern Orte <note place="foot" n="c)">Laok. <hi rendition="#aq">p.</hi> 180.</note>, wo er die fort&#x017F;chrei-<lb/>
tende Manier Homers vortrefflich entwickelt, ent-<lb/>
geht ihm auch nicht der Vortheil, den ihm &#x017F;eine<lb/>
Sprache gewa&#x0364;hrte, &#x201E;die ihm nicht allein alle mo&#x0364;g-<lb/>
&#x201E;liche Freiheit in Ha&#x0364;ufung und Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung<lb/>
&#x201E;der Beiwo&#x0364;rter la&#x0364;ßt, &#x017F;ondern auch fu&#x0364;r die&#x017F;e geha&#x0364;uf-<lb/>
&#x201E;ten Beiwo&#x0364;rter eine &#x017F;o glu&#x0364;ckliche Ordnung hat, daß<lb/>
&#x201E;der nachtheiligen Su&#x017F;pen&#x017F;ion ihrer Beziehung da-<lb/>
&#x201E;durch abgeholfen wird. An einer oder mehrern<lb/>
&#x201E;die&#x017F;er Bequemlichkeiten fehlt es den neuern Spra-<lb/>
&#x201E;chen durchga&#x0364;ngig. Auch un&#x017F;re Sprache hat &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;nicht, oder welches einerlei i&#x017F;t, &#x017F;ie kann &#x017F;ie nur<lb/>
&#x201E;&#x017F;elten ohne Zweideutigkeit nutzen.&#x201E; Mir haben<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die&#x017F;e</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0193] Erſtes Waͤldchen. die unwichtigen Gruͤnde a), womit man ein Genie, das zu interpretiren da iſt, vom Homer abfchrecken, und hinwegſegnen will. Wie? wenn Pope auch ſo gedacht haͤtte: wo waͤre der engliſche Homer geblie- ben? und wird wohl ein vernuͤnftiger Englaͤnder, der Homer griechiſch leſen kann, ihn nicht leſen wol- len — weil ihn Pope engliſch geliefert? — — Wenn dies gute Wort uͤber Homer hier nicht voͤllig an ſeiner Stelle ſteht: ſo haͤtte es doch irgend- wo anders eine Stelle verdient, und ich fahre fort. „Es iſt unmoͤglich, ſagt Hr. L. b), die muſikaliſche „Malerei, welche die Worte des Dichters mit hoͤ- „ren laſſen, in eine andre Sprache uͤberzutragen,„ und an einem andern Orte c), wo er die fortſchrei- tende Manier Homers vortrefflich entwickelt, ent- geht ihm auch nicht der Vortheil, den ihm ſeine Sprache gewaͤhrte, „die ihm nicht allein alle moͤg- „liche Freiheit in Haͤufung und Zuſammenſetzung „der Beiwoͤrter laͤßt, ſondern auch fuͤr dieſe gehaͤuf- „ten Beiwoͤrter eine ſo gluͤckliche Ordnung hat, daß „der nachtheiligen Suſpenſion ihrer Beziehung da- „durch abgeholfen wird. An einer oder mehrern „dieſer Bequemlichkeiten fehlt es den neuern Spra- „chen durchgaͤngig. Auch unſre Sprache hat ſie „nicht, oder welches einerlei iſt, ſie kann ſie nur „ſelten ohne Zweideutigkeit nutzen.„ Mir haben dieſe a) Riedels Leben Meinhards p. 60 61. b) Laok. 143. c) Laok. p. 180.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/193
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/193>, abgerufen am 09.05.2024.