Welch ein Bild! wenn Furcht und Sorge ihren Herrn auch zu Schiffe verfolgen, auch hinter ihm zu Pferde sitzen, auch des Nachts um die Dächer der Reichen flattern: wenn der Tod mit seinem Fuß an die Hüten der Armen, und an die Palläste der Mächtigen mit gleichen Schlägen anpochet: wenn das Glück --
Jch komme jetzt auf die Ode Horazens, die an solchen Personen-Dichtungen die reichste ist, und wo die personifirten Abstrakta den Auslegern manche saure Viertelstunde gemacht haben. Das Glück selbst, die Nothwendigkeit, die Hoffnung, die Treue u. s. w. sind als moralische Wesen in diese Ode zusammengruppirt, und das Ganze des Gesan- ges selbst ist einem personifirten Abstrakto gewidmet. -- Man erräth es, daß ich von der Ode aus Glücka) rede. Baxter sucht hier, wie gewöhn- lich, in ihr seine lieben Dilogien b), und Geßner c) geht vielleicht auf der andern Seite zu weit, daß er sie für eine Abhandlung über den Artikel Glück er- klärt: doch wir wollen ohne vorgefaßte Meinung lesen.
Gleich zu Anfange rufft Horaz nicht eigentlich das Glück, als ein Abstraktum an, um nach Geß- ners Meinung einen locum darüber durchzuhan- deln; sondern die Göttinn des Glücks, und zwar
zunächst
a)Lib. I. Od. 35.
b)Horat. ed. Baxt. p. 49.
c)Eclog. Horat. edit. Gessner. p. 71.
Kritiſche Waͤlder.
Welch ein Bild! wenn Furcht und Sorge ihren Herrn auch zu Schiffe verfolgen, auch hinter ihm zu Pferde ſitzen, auch des Nachts um die Daͤcher der Reichen flattern: wenn der Tod mit ſeinem Fuß an die Huͤten der Armen, und an die Pallaͤſte der Maͤchtigen mit gleichen Schlaͤgen anpochet: wenn das Gluͤck —
Jch komme jetzt auf die Ode Horazens, die an ſolchen Perſonen-Dichtungen die reichſte iſt, und wo die perſonifirten Abſtrakta den Auslegern manche ſaure Viertelſtunde gemacht haben. Das Gluͤck ſelbſt, die Nothwendigkeit, die Hoffnung, die Treue u. ſ. w. ſind als moraliſche Weſen in dieſe Ode zuſammengruppirt, und das Ganze des Geſan- ges ſelbſt iſt einem perſonifirten Abſtrakto gewidmet. — Man erraͤth es, daß ich von der Ode aus Gluͤcka) rede. Baxter ſucht hier, wie gewoͤhn- lich, in ihr ſeine lieben Dilogien b), und Geßner c) geht vielleicht auf der andern Seite zu weit, daß er ſie fuͤr eine Abhandlung uͤber den Artikel Gluͤck er- klaͤrt: doch wir wollen ohne vorgefaßte Meinung leſen.
Gleich zu Anfange rufft Horaz nicht eigentlich das Gluͤck, als ein Abſtraktum an, um nach Geß- ners Meinung einen locum daruͤber durchzuhan- deln; ſondern die Goͤttinn des Gluͤcks, und zwar
zunaͤchſt
a)Lib. I. Od. 35.
b)Horat. ed. Baxt. p. 49.
c)Eclog. Horat. edit. Geſſner. p. 71.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0144"n="138"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/><p>Welch ein Bild! wenn <hirendition="#fr">Furcht und Sorge</hi> ihren<lb/>
Herrn auch zu Schiffe verfolgen, auch hinter ihm zu<lb/>
Pferde ſitzen, auch des Nachts um die Daͤcher der<lb/>
Reichen flattern: wenn <hirendition="#fr">der Tod</hi> mit ſeinem Fuß<lb/>
an die Huͤten der Armen, und an die Pallaͤſte der<lb/>
Maͤchtigen mit gleichen Schlaͤgen anpochet: wenn<lb/><hirendition="#fr">das Gluͤck</hi>—</p><lb/><p>Jch komme jetzt auf die Ode Horazens, die an<lb/>ſolchen Perſonen-Dichtungen die reichſte iſt, und wo<lb/>
die perſonifirten Abſtrakta den Auslegern manche<lb/>ſaure Viertelſtunde gemacht haben. <hirendition="#fr">Das Gluͤck</hi><lb/>ſelbſt, die <hirendition="#fr">Nothwendigkeit,</hi> die <hirendition="#fr">Hoffnung,</hi> die<lb/><hirendition="#fr">Treue</hi> u. ſ. w. ſind als moraliſche Weſen in dieſe<lb/>
Ode zuſammengruppirt, und das Ganze des Geſan-<lb/>
ges ſelbſt iſt einem perſonifirten Abſtrakto gewidmet.<lb/>— Man erraͤth es, daß ich von der <hirendition="#fr">Ode aus<lb/>
Gluͤck</hi><noteplace="foot"n="a)"><hirendition="#aq">Lib. I. Od.</hi> 35.</note> rede. Baxter ſucht hier, wie gewoͤhn-<lb/>
lich, in ihr ſeine lieben Dilogien <noteplace="foot"n="b)"><hirendition="#aq">Horat. ed. Baxt. p.</hi> 49.</note>, und Geßner <noteplace="foot"n="c)"><hirendition="#aq">Eclog. Horat. edit. Geſſner. p.</hi> 71.</note><lb/>
geht vielleicht auf der andern Seite zu weit, daß er<lb/>ſie fuͤr eine Abhandlung uͤber den Artikel <hirendition="#fr">Gluͤck</hi> er-<lb/>
klaͤrt: doch wir wollen ohne vorgefaßte Meinung<lb/>
leſen.</p><lb/><p>Gleich zu Anfange rufft Horaz nicht eigentlich<lb/><hirendition="#fr">das Gluͤck,</hi> als ein Abſtraktum an, um nach Geß-<lb/>
ners Meinung einen <hirendition="#aq">locum</hi> daruͤber durchzuhan-<lb/>
deln; ſondern <hirendition="#fr">die Goͤttinn des Gluͤcks,</hi> und zwar<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zunaͤchſt</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[138/0144]
Kritiſche Waͤlder.
Welch ein Bild! wenn Furcht und Sorge ihren
Herrn auch zu Schiffe verfolgen, auch hinter ihm zu
Pferde ſitzen, auch des Nachts um die Daͤcher der
Reichen flattern: wenn der Tod mit ſeinem Fuß
an die Huͤten der Armen, und an die Pallaͤſte der
Maͤchtigen mit gleichen Schlaͤgen anpochet: wenn
das Gluͤck —
Jch komme jetzt auf die Ode Horazens, die an
ſolchen Perſonen-Dichtungen die reichſte iſt, und wo
die perſonifirten Abſtrakta den Auslegern manche
ſaure Viertelſtunde gemacht haben. Das Gluͤck
ſelbſt, die Nothwendigkeit, die Hoffnung, die
Treue u. ſ. w. ſind als moraliſche Weſen in dieſe
Ode zuſammengruppirt, und das Ganze des Geſan-
ges ſelbſt iſt einem perſonifirten Abſtrakto gewidmet.
— Man erraͤth es, daß ich von der Ode aus
Gluͤck a) rede. Baxter ſucht hier, wie gewoͤhn-
lich, in ihr ſeine lieben Dilogien b), und Geßner c)
geht vielleicht auf der andern Seite zu weit, daß er
ſie fuͤr eine Abhandlung uͤber den Artikel Gluͤck er-
klaͤrt: doch wir wollen ohne vorgefaßte Meinung
leſen.
Gleich zu Anfange rufft Horaz nicht eigentlich
das Gluͤck, als ein Abſtraktum an, um nach Geß-
ners Meinung einen locum daruͤber durchzuhan-
deln; ſondern die Goͤttinn des Gluͤcks, und zwar
zunaͤchſt
a) Lib. I. Od. 35.
b) Horat. ed. Baxt. p. 49.
c) Eclog. Horat. edit. Geſſner. p. 71.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/144>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.