[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. glaubte: ists, daß er ein Gemälde der Kinder Lao-koons Leidens, und sich zu Tode ängstigend antraf: so waren ihm, dem Versificateur einer malerischen Schilderung, dem Nachahmer des Gemäldes, diese Figuren Augenmerk gnug, um mit dem Pinsel zu wetteifern, um diese Nebenideen der Phantasie, aber Hauptideen des Auges im Gemälde, bestmög- lichst zu verschönern. Die Größe der Schlangen wiederum, in deren Schilderung sich Virgil ver- liebt hat, war nicht sein Hauptaugenmerk: denn sie konnte es nicht im Gemälde seyn, wo man die Größe aus dem Geräusche in den Wellen gleichsam nur schließen mußte. Die ganze Schilderung Petrons ist eine Zusammenhäufung sichtbarer Jdeen: war- um also nicht die Nachahmung eines wirklichen Ge- mäldes? und alsdenn nicht so sicher ein Beispiel und eine Probe von der schülerhaften Nachah- mung eines andern Dichters, und noch un- sichrer eine erste Probe, die auf alle gölte. So sklavisch sie ist: so bleibt doch gegen sie ein Quin- tus Calaber noch nicht eben der beßre a) Dichter und Kenner der Natur: und so unendlich sie hinter Virgil zurückbleibt, so ist doch auch dieser in seiner Schilderung gewiß nicht ganz Dichter; er ist Nach- ahmer Homers, und zeigt dies in den so weit verstärk- ten und verschönerten Nebenzügen, daß das Ganze verschwindet. Was a) p. 57.
Kritiſche Waͤlder. glaubte: iſts, daß er ein Gemaͤlde der Kinder Lao-koons Leidens, und ſich zu Tode aͤngſtigend antraf: ſo waren ihm, dem Verſificateur einer maleriſchen Schilderung, dem Nachahmer des Gemaͤldes, dieſe Figuren Augenmerk gnug, um mit dem Pinſel zu wetteifern, um dieſe Nebenideen der Phantaſie, aber Hauptideen des Auges im Gemaͤlde, beſtmoͤg- lichſt zu verſchoͤnern. Die Groͤße der Schlangen wiederum, in deren Schilderung ſich Virgil ver- liebt hat, war nicht ſein Hauptaugenmerk: denn ſie konnte es nicht im Gemaͤlde ſeyn, wo man die Groͤße aus dem Geraͤuſche in den Wellen gleichſam nur ſchließen mußte. Die ganze Schilderung Petrons iſt eine Zuſammenhaͤufung ſichtbarer Jdeen: war- um alſo nicht die Nachahmung eines wirklichen Ge- maͤldes? und alsdenn nicht ſo ſicher ein Beiſpiel und eine Probe von der ſchuͤlerhaften Nachah- mung eines andern Dichters, und noch un- ſichrer eine erſte Probe, die auf alle goͤlte. So ſklaviſch ſie iſt: ſo bleibt doch gegen ſie ein Quin- tus Calaber noch nicht eben der beßre a) Dichter und Kenner der Natur: und ſo unendlich ſie hinter Virgil zuruͤckbleibt, ſo iſt doch auch dieſer in ſeiner Schilderung gewiß nicht ganz Dichter; er iſt Nach- ahmer Homers, und zeigt dies in den ſo weit verſtaͤrk- ten und verſchoͤnerten Nebenzuͤgen, daß das Ganze verſchwindet. Was a) p. 57.
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Kritiſche Waͤlder.
glaubte: iſts, daß er ein Gemaͤlde der Kinder Lao-
koons Leidens, und ſich zu Tode aͤngſtigend antraf:
ſo waren ihm, dem Verſificateur einer maleriſchen
Schilderung, dem Nachahmer des Gemaͤldes, dieſe
Figuren Augenmerk gnug, um mit dem Pinſel zu
wetteifern, um dieſe Nebenideen der Phantaſie,
aber Hauptideen des Auges im Gemaͤlde, beſtmoͤg-
lichſt zu verſchoͤnern. Die Groͤße der Schlangen
wiederum, in deren Schilderung ſich Virgil ver-
liebt hat, war nicht ſein Hauptaugenmerk: denn ſie
konnte es nicht im Gemaͤlde ſeyn, wo man die Groͤße
aus dem Geraͤuſche in den Wellen gleichſam nur
ſchließen mußte. Die ganze Schilderung Petrons
iſt eine Zuſammenhaͤufung ſichtbarer Jdeen: war-
um alſo nicht die Nachahmung eines wirklichen Ge-
maͤldes? und alsdenn nicht ſo ſicher ein Beiſpiel
und eine Probe von der ſchuͤlerhaften Nachah-
mung eines andern Dichters, und noch un-
ſichrer eine erſte Probe, die auf alle goͤlte. So
ſklaviſch ſie iſt: ſo bleibt doch gegen ſie ein Quin-
tus Calaber noch nicht eben der beßre a) Dichter
und Kenner der Natur: und ſo unendlich ſie hinter
Virgil zuruͤckbleibt, ſo iſt doch auch dieſer in ſeiner
Schilderung gewiß nicht ganz Dichter; er iſt Nach-
ahmer Homers, und zeigt dies in den ſo weit verſtaͤrk-
ten und verſchoͤnerten Nebenzuͤgen, daß das Ganze
verſchwindet.
Was
a) p. 57.
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