für unsre Literatur und Sprache war da viel gemäßigter. Der Nationalhaß erregte Mitbewerbung; man las nicht sinnlos, man starrte nicht bewundernd an, sondern eiferte nach und voran. Diese Eifersucht, so unge- recht sie manchmal war, hatte für die Nation eine gute Wirkung. Man ließ sich nicht un- terjochen, am wenigsten so weit, daß man sei- ne eigne Sprache aufgegeben, die Werke sei- ner Mitbürger verachtet und diese durch den Mangel an Aufmerksamkeit für ihre Bemü- hungen ganz muthlos gemacht hätte, wie man es in Deutschland gethan hat; und am Ende wozu gethan hat? Um eine fremde Sprache schlecht zu verstehen, sie noch schlechter zu sprechen und in ihr nichts als Thorheiten zu lesen. Schöner Gewinn dafür, daß man in seinem Lande ein doppelter Barbar wird! Lohnte dies der Mühe, sich mit unsrer Lite- ratur zu überstopfen, gesetzt diese hätte auch tausendmal mehr Verdienst, als man ihr zu- gesteht, um solchen Preis?"
fuͤr unſre Literatur und Sprache war da viel gemaͤßigter. Der Nationalhaß erregte Mitbewerbung; man las nicht ſinnlos, man ſtarrte nicht bewundernd an, ſondern eiferte nach und voran. Dieſe Eiferſucht, ſo unge- recht ſie manchmal war, hatte fuͤr die Nation eine gute Wirkung. Man ließ ſich nicht un- terjochen, am wenigſten ſo weit, daß man ſei- ne eigne Sprache aufgegeben, die Werke ſei- ner Mitbuͤrger verachtet und dieſe durch den Mangel an Aufmerkſamkeit fuͤr ihre Bemuͤ- hungen ganz muthlos gemacht haͤtte, wie man es in Deutſchland gethan hat; und am Ende wozu gethan hat? Um eine fremde Sprache ſchlecht zu verſtehen, ſie noch ſchlechter zu ſprechen und in ihr nichts als Thorheiten zu leſen. Schoͤner Gewinn dafuͤr, daß man in ſeinem Lande ein doppelter Barbar wird! Lohnte dies der Muͤhe, ſich mit unſrer Lite- ratur zu uͤberſtopfen, geſetzt dieſe haͤtte auch tauſendmal mehr Verdienſt, als man ihr zu- geſteht, um ſolchen Preis?“
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fuͤr unſre Literatur und Sprache war da
viel gemaͤßigter. Der Nationalhaß erregte
Mitbewerbung; man las nicht ſinnlos, man
ſtarrte nicht bewundernd an, ſondern eiferte
nach und voran. Dieſe Eiferſucht, ſo unge-
recht ſie manchmal war, hatte fuͤr die Nation
eine gute Wirkung. Man ließ ſich nicht un-
terjochen, am wenigſten ſo weit, daß man ſei-
ne eigne Sprache aufgegeben, die Werke ſei-
ner Mitbuͤrger verachtet und dieſe durch den
Mangel an Aufmerkſamkeit fuͤr ihre Bemuͤ-
hungen ganz muthlos gemacht haͤtte, wie man
es in Deutſchland gethan hat; und am Ende
wozu gethan hat? Um eine fremde Sprache
ſchlecht zu verſtehen, ſie noch ſchlechter zu
ſprechen und in ihr nichts als Thorheiten zu
leſen. Schoͤner Gewinn dafuͤr, daß man in
ſeinem Lande ein doppelter Barbar wird!
Lohnte dies der Muͤhe, ſich mit unſrer Lite-
ratur zu uͤberſtopfen, geſetzt dieſe haͤtte auch
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/45>, abgerufen am 27.07.2024.
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