Die beiden Misbräuche, deren äußerstes Uebermaas ich bemerkt habe, gereichen beiden Sprachen, der erste der Deutschen, der zwei- te der Deutschen und Französischen unendlich zum Schaden; sie sind aber nichts gegen einen dritten Nachtheil, der auf nichts geringeres ausgeht, als den Geist und Geschmack der Nation selbst im Grunde zu verderben. Und dies geschieht unfehlbar durch die Wahl einer üblen Lectur und durch den schlechten Ge- brauch der besten Schriften. Glaube man doch nicht, daß diese übertriebnen Liebhaber der Französischen Sprache, die sie radebrechen, ihre wahre Schönheiten und die in ihr ge- schriebenen schätzbarsten Werke je gekannt ha- ben? Sind sie dazu fähig? Guter Gott! Die Geistesgestalt, die ihnen die Schönheiten ihrer eignen Sprache so ganz und gar mis- kenntlich macht, daß sie sie vernachläßigen und auf die erbärmlichste Art verderben; diese Geistesbildung, oder vielmehr diese für jede
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Die beiden Misbraͤuche, deren aͤußerſtes Uebermaas ich bemerkt habe, gereichen beiden Sprachen, der erſte der Deutſchen, der zwei- te der Deutſchen und Franzoͤſiſchen unendlich zum Schaden; ſie ſind aber nichts gegen einen dritten Nachtheil, der auf nichts geringeres ausgeht, als den Geiſt und Geſchmack der Nation ſelbſt im Grunde zu verderben. Und dies geſchieht unfehlbar durch die Wahl einer uͤblen Lectur und durch den ſchlechten Ge- brauch der beſten Schriften. Glaube man doch nicht, daß dieſe uͤbertriebnen Liebhaber der Franzoͤſiſchen Sprache, die ſie radebrechen, ihre wahre Schoͤnheiten und die in ihr ge- ſchriebenen ſchaͤtzbarſten Werke je gekannt ha- ben? Sind ſie dazu faͤhig? Guter Gott! Die Geiſtesgeſtalt, die ihnen die Schoͤnheiten ihrer eignen Sprache ſo ganz und gar mis- kenntlich macht, daß ſie ſie vernachlaͤßigen und auf die erbaͤrmlichſte Art verderben; dieſe Geiſtesbildung, oder vielmehr dieſe fuͤr jede
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Die beiden Misbraͤuche, deren aͤußerſtes
Uebermaas ich bemerkt habe, gereichen beiden
Sprachen, der erſte der Deutſchen, der zwei-
te der Deutſchen und Franzoͤſiſchen unendlich
zum Schaden; ſie ſind aber nichts gegen einen
dritten Nachtheil, der auf nichts geringeres
ausgeht, als den Geiſt und Geſchmack der
Nation ſelbſt im Grunde zu verderben. Und
dies geſchieht unfehlbar durch die Wahl einer
uͤblen Lectur und durch den ſchlechten Ge-
brauch der beſten Schriften. Glaube man
doch nicht, daß dieſe uͤbertriebnen Liebhaber
der Franzoͤſiſchen Sprache, die ſie radebrechen,
ihre wahre Schoͤnheiten und die in ihr ge-
ſchriebenen ſchaͤtzbarſten Werke je gekannt ha-
ben? Sind ſie dazu faͤhig? Guter Gott!
Die Geiſtesgeſtalt, die ihnen die Schoͤnheiten
ihrer eignen Sprache ſo ganz und gar mis-
kenntlich macht, daß ſie ſie vernachlaͤßigen
und auf die erbaͤrmlichſte Art verderben; dieſe
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/42>, abgerufen am 27.07.2024.
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