"Mit dem Ferguson*) will ich mir ein eigentliches Studium machen. Ich sehe schon aus dem vorgesetzten Inhalte, daß es ein Buch ist, wie mir hier gefehlt hat, wo ich größtentheils nur solche Bücher habe, die über lang oder kurz, den Verstand, so wie die Zeit tödten. Wenn man lange nicht denkt, so kann man am Ende nicht mehr denken. Ist es aber auch wohl gut, Wahrheiten zu den- ken, sich ernstlich mit Wahrheiten zu beschäf- tigen, in deren beständigem Widerspruch wir nun schon einmal leben, und zu unsrer Ruhe beständig fortleben müssen? Und von derglei- chen Wahrheiten sehe ich in dem Engländer schon manche von weitem.
"Wie auch solche, die ich längst für keine Wahrheiten mehr gehalten. Doch ich besorge es nicht erst seit gestern, daß, indem ich ge-
*) Wahrscheinlich über die bürgerliche Gesellschaft.
56.
„Mit dem Ferguſon*) will ich mir ein eigentliches Studium machen. Ich ſehe ſchon aus dem vorgeſetzten Inhalte, daß es ein Buch iſt, wie mir hier gefehlt hat, wo ich groͤßtentheils nur ſolche Buͤcher habe, die uͤber lang oder kurz, den Verſtand, ſo wie die Zeit toͤdten. Wenn man lange nicht denkt, ſo kann man am Ende nicht mehr denken. Iſt es aber auch wohl gut, Wahrheiten zu den- ken, ſich ernſtlich mit Wahrheiten zu beſchaͤf- tigen, in deren beſtaͤndigem Widerſpruch wir nun ſchon einmal leben, und zu unſrer Ruhe beſtaͤndig fortleben muͤſſen? Und von derglei- chen Wahrheiten ſehe ich in dem Englaͤnder ſchon manche von weitem.
„Wie auch ſolche, die ich laͤngſt fuͤr keine Wahrheiten mehr gehalten. Doch ich beſorge es nicht erſt ſeit geſtern, daß, indem ich ge-
*) Wahrſcheinlich uͤber die buͤrgerliche Geſellſchaft.
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56.
„Mit dem Ferguſon *) will ich mir ein
eigentliches Studium machen. Ich ſehe ſchon
aus dem vorgeſetzten Inhalte, daß es ein
Buch iſt, wie mir hier gefehlt hat, wo ich
groͤßtentheils nur ſolche Buͤcher habe, die uͤber
lang oder kurz, den Verſtand, ſo wie die Zeit
toͤdten. Wenn man lange nicht denkt, ſo
kann man am Ende nicht mehr denken. Iſt
es aber auch wohl gut, Wahrheiten zu den-
ken, ſich ernſtlich mit Wahrheiten zu beſchaͤf-
tigen, in deren beſtaͤndigem Widerſpruch wir
nun ſchon einmal leben, und zu unſrer Ruhe
beſtaͤndig fortleben muͤſſen? Und von derglei-
chen Wahrheiten ſehe ich in dem Englaͤnder
ſchon manche von weitem.
„Wie auch ſolche, die ich laͤngſt fuͤr keine
Wahrheiten mehr gehalten. Doch ich beſorge
es nicht erſt ſeit geſtern, daß, indem ich ge-
*) Wahrſcheinlich uͤber die buͤrgerliche
Geſellſchaft.
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/139>, abgerufen am 16.02.2025.
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