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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

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und dichtete selbst lateinisch; seine prosai-
schen Aufsätze sind mit der Bescheidenheit
und Würde eines Römers geschrieben; und
welches sonderbare Phantom bildete sich
dieser gelehrte Dichter an Pindar ein! In
wie bösem Geschmack erschuf er jene Oden-
gattung, die seinen Landsleuten wirklich
ein Verderb des Geschmacks ward! --
Also hilft auch hier das Alter für Thorheit
nicht; jeder Neuere behält seine natürliche
Größe, falls er in seinem Studiumauch den
Griechischen und Römischen Helikon auf ein-
ander thürmte und sich droben hinauf stellte.

Drittens. Nun kann ich zwar gegen
die schöne lateinische Schreibart vieler
Neueren in Poesie und Prose nichts ein-
wenden und finde in ihnen für mich ein
großes Vergnügen; für sich selbst aber was
thaten diese Schriftsteller mehr, als daß
sie ihre Pflicht erfüllten? Muß Jeder, der

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und dichtete ſelbſt lateiniſch; ſeine proſai-
ſchen Aufſaͤtze ſind mit der Beſcheidenheit
und Wuͤrde eines Roͤmers geſchrieben; und
welches ſonderbare Phantom bildete ſich
dieſer gelehrte Dichter an Pindar ein! In
wie boͤſem Geſchmack erſchuf er jene Oden-
gattung, die ſeinen Landsleuten wirklich
ein Verderb des Geſchmacks ward! —
Alſo hilft auch hier das Alter fuͤr Thorheit
nicht; jeder Neuere behaͤlt ſeine natuͤrliche
Groͤße, falls er in ſeinem Studiumauch den
Griechiſchen und Roͤmiſchen Helikon auf ein-
ander thuͤrmte und ſich droben hinauf ſtellte.

Drittens. Nun kann ich zwar gegen
die ſchoͤne lateiniſche Schreibart vieler
Neueren in Poeſie und Proſe nichts ein-
wenden und finde in ihnen fuͤr mich ein
großes Vergnuͤgen; fuͤr ſich ſelbſt aber was
thaten dieſe Schriftſteller mehr, als daß
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[19/0038] und dichtete ſelbſt lateiniſch; ſeine proſai- ſchen Aufſaͤtze ſind mit der Beſcheidenheit und Wuͤrde eines Roͤmers geſchrieben; und welches ſonderbare Phantom bildete ſich dieſer gelehrte Dichter an Pindar ein! In wie boͤſem Geſchmack erſchuf er jene Oden- gattung, die ſeinen Landsleuten wirklich ein Verderb des Geſchmacks ward! — Alſo hilft auch hier das Alter fuͤr Thorheit nicht; jeder Neuere behaͤlt ſeine natuͤrliche Groͤße, falls er in ſeinem Studiumauch den Griechiſchen und Roͤmiſchen Helikon auf ein- ander thuͤrmte und ſich droben hinauf ſtellte. Drittens. Nun kann ich zwar gegen die ſchoͤne lateiniſche Schreibart vieler Neueren in Poeſie und Proſe nichts ein- wenden und finde in ihnen fuͤr mich ein großes Vergnuͤgen; fuͤr ſich ſelbſt aber was thaten dieſe Schriftſteller mehr, als daß ſie ihre Pflicht erfuͤllten? Muß Jeder, der B 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/38>, abgerufen am 24.04.2024.