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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

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der Dichter und das Volk sich an Poesie
denken. Der Name selbst ist ein abge-
zogner, so vielfassender Begriff, daß wenn
ihm nicht einzelne Fälle deutlich unterge-
legt werden, er wie ein Trugbild in den
Wolken verschwindet. Sehr leer war da-
her der Streit über den Vorzug der
Alten oder der Neuern
, bei welchem
man sich wenig Bestimmtes dachte.

Er ward noch leerer dadurch, daß man
keinen oder einen falschen Maasstab der
Vergleichung annahm: denn was sollte
hier über den Rang entscheiden? Die
Kunst der Poesie, als Object? wie viel
feine Bestimmungen gehörten dazu, das
Höchste der Vollkommenheit in jeder Art
und Gattung nach Ort und Zeit, nach
Zweck und Mitteln auszufinden, und auf
jedes Verglichene unpartheiisch anzuwen-
den! Oder sollte die Kunst des Dichters

der Dichter und das Volk ſich an Poeſie
denken. Der Name ſelbſt iſt ein abge-
zogner, ſo vielfaſſender Begriff, daß wenn
ihm nicht einzelne Faͤlle deutlich unterge-
legt werden, er wie ein Trugbild in den
Wolken verſchwindet. Sehr leer war da-
her der Streit uͤber den Vorzug der
Alten oder der Neuern
, bei welchem
man ſich wenig Beſtimmtes dachte.

Er ward noch leerer dadurch, daß man
keinen oder einen falſchen Maasſtab der
Vergleichung annahm: denn was ſollte
hier uͤber den Rang entſcheiden? Die
Kunſt der Poeſie, als Object? wie viel
feine Beſtimmungen gehoͤrten dazu, das
Hoͤchſte der Vollkommenheit in jeder Art
und Gattung nach Ort und Zeit, nach
Zweck und Mitteln auszufinden, und auf
jedes Verglichene unpartheiiſch anzuwen-
den! Oder ſollte die Kunſt des Dichters

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[173/0192] der Dichter und das Volk ſich an Poeſie denken. Der Name ſelbſt iſt ein abge- zogner, ſo vielfaſſender Begriff, daß wenn ihm nicht einzelne Faͤlle deutlich unterge- legt werden, er wie ein Trugbild in den Wolken verſchwindet. Sehr leer war da- her der Streit uͤber den Vorzug der Alten oder der Neuern, bei welchem man ſich wenig Beſtimmtes dachte. Er ward noch leerer dadurch, daß man keinen oder einen falſchen Maasſtab der Vergleichung annahm: denn was ſollte hier uͤber den Rang entſcheiden? Die Kunſt der Poeſie, als Object? wie viel feine Beſtimmungen gehoͤrten dazu, das Hoͤchſte der Vollkommenheit in jeder Art und Gattung nach Ort und Zeit, nach Zweck und Mitteln auszufinden, und auf jedes Verglichene unpartheiiſch anzuwen- den! Oder ſollte die Kunſt des Dichters

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/192>, abgerufen am 21.11.2024.