einer regelmäßigen Italiänischen oder Spa- nischen Stanze, die schön verschlungene Harmonie eines vollkommenen Sonnets, Madrigals, oder einer vortreflichen Canzone, die abwechselnde leichte Melo- die einer schönen Canzonette, Rodon- dilla oder Seguidilla tönt so anmuthig; der Tanz ihrer Sylben ist so ätherisch, daß ihn unsre deutsche Sprache, die ein ganz andrer Genius belebet, vielleicht auch nicht nachahmen sollte. Die Poesien so vieler Lyrischen und Epischen Dichter in Italien und Spanien sind gleichsam so viel Hespe- rische Zaubergärten, wo die Bäume singen, und an jedem Zweige des singenden Baums ein Glöckchen tönet. Die Poesie der Alten singt nicht also; aber das Rauschen des Baumes selbst, das Wehen seiner Zweige im zartesten Sprößling ist begeisternd, ist heilig.
einer regelmaͤßigen Italiaͤniſchen oder Spa- niſchen Stanze, die ſchoͤn verſchlungene Harmonie eines vollkommenen Sonnets, Madrigals, oder einer vortreflichen Canzone, die abwechſelnde leichte Melo- die einer ſchoͤnen Canzonette, Rodon- dilla oder Seguidilla toͤnt ſo anmuthig; der Tanz ihrer Sylben iſt ſo aͤtheriſch, daß ihn unſre deutſche Sprache, die ein ganz andrer Genius belebet, vielleicht auch nicht nachahmen ſollte. Die Poeſien ſo vieler Lyriſchen und Epiſchen Dichter in Italien und Spanien ſind gleichſam ſo viel Heſpe- riſche Zaubergaͤrten, wo die Baͤume ſingen, und an jedem Zweige des ſingenden Baums ein Gloͤckchen toͤnet. Die Poeſie der Alten ſingt nicht alſo; aber das Rauſchen des Baumes ſelbſt, das Wehen ſeiner Zweige im zarteſten Sproͤßling iſt begeiſternd, iſt heilig.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0128"n="111"/>
einer regelmaͤßigen Italiaͤniſchen oder Spa-<lb/>
niſchen Stanze, die ſchoͤn verſchlungene<lb/>
Harmonie eines vollkommenen <hirendition="#g">Sonnets</hi>,<lb/><hirendition="#g">Madrigals</hi>, oder einer vortreflichen<lb/><hirendition="#g">Canzone</hi>, die abwechſelnde leichte Melo-<lb/>
die einer ſchoͤnen <hirendition="#g">Canzonette</hi>, <hirendition="#aq">Rodon-<lb/>
dilla</hi> oder <hirendition="#aq">Seguidilla</hi> toͤnt ſo anmuthig;<lb/>
der Tanz ihrer Sylben iſt ſo aͤtheriſch, daß<lb/>
ihn unſre deutſche Sprache, die ein ganz<lb/>
andrer Genius belebet, vielleicht auch nicht<lb/>
nachahmen ſollte. Die Poeſien ſo vieler<lb/>
Lyriſchen und Epiſchen Dichter in Italien<lb/>
und Spanien ſind gleichſam ſo viel Heſpe-<lb/>
riſche Zaubergaͤrten, wo die Baͤume ſingen,<lb/>
und an jedem Zweige des ſingenden Baums<lb/>
ein Gloͤckchen toͤnet. Die Poeſie der Alten<lb/>ſingt nicht alſo; aber das Rauſchen des<lb/>
Baumes ſelbſt, das Wehen ſeiner Zweige<lb/>
im zarteſten Sproͤßling iſt begeiſternd, iſt<lb/>
heilig.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[111/0128]
einer regelmaͤßigen Italiaͤniſchen oder Spa-
niſchen Stanze, die ſchoͤn verſchlungene
Harmonie eines vollkommenen Sonnets,
Madrigals, oder einer vortreflichen
Canzone, die abwechſelnde leichte Melo-
die einer ſchoͤnen Canzonette, Rodon-
dilla oder Seguidilla toͤnt ſo anmuthig;
der Tanz ihrer Sylben iſt ſo aͤtheriſch, daß
ihn unſre deutſche Sprache, die ein ganz
andrer Genius belebet, vielleicht auch nicht
nachahmen ſollte. Die Poeſien ſo vieler
Lyriſchen und Epiſchen Dichter in Italien
und Spanien ſind gleichſam ſo viel Heſpe-
riſche Zaubergaͤrten, wo die Baͤume ſingen,
und an jedem Zweige des ſingenden Baums
ein Gloͤckchen toͤnet. Die Poeſie der Alten
ſingt nicht alſo; aber das Rauſchen des
Baumes ſelbſt, das Wehen ſeiner Zweige
im zarteſten Sproͤßling iſt begeiſternd, iſt
heilig.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/128>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.