Unbefangenheit, in der die Mutter von ihr selbst, von ihrer Herrlichkeit, kaum von ihrem Kinde zu wissen scheinet, das sie dennoch, das dennoch sie liebreich umfängt, und den Menschen hold ist. Eine humane Gruppe, die Kind und Knabe, Mädchen und Jungfrau, Braut und Mutter, Mann und Greis, der Ster- bende selbst zutrauend-sanft, gleichfalls mit christlicher Unbefangenheit gern ansehn; da übrigens Raphaels Marien, gewiß die höchsten und reinsten ihrer Art, alle Land- mädchen sind, nur sehr innig gedacht und rein idealisiret. Jene Glorreiche, selbst, die, das Kind im Arm, über den Wolken schwebet, kennet sich selbst nicht und ist in ei- ner sanften Verwunderung über die Hoheit, die ihr zu Theil wird. Ausser Raphael ha- ben wenige diese Idee erreichet; die gebeugte Schmerzensmutter gelang ihnen viel mehr.
Unbefangenheit, in der die Mutter von ihr ſelbſt, von ihrer Herrlichkeit, kaum von ihrem Kinde zu wiſſen ſcheinet, das ſie dennoch, das dennoch ſie liebreich umfaͤngt, und den Menſchen hold iſt. Eine humane Gruppe, die Kind und Knabe, Maͤdchen und Jungfrau, Braut und Mutter, Mann und Greis, der Ster- bende ſelbſt zutrauend-ſanft, gleichfalls mit chriſtlicher Unbefangenheit gern anſehn; da uͤbrigens Raphaels Marien, gewiß die hoͤchſten und reinſten ihrer Art, alle Land- maͤdchen ſind, nur ſehr innig gedacht und rein idealiſiret. Jene Glorreiche, ſelbſt, die, das Kind im Arm, uͤber den Wolken ſchwebet, kennet ſich ſelbſt nicht und iſt in ei- ner ſanften Verwunderung uͤber die Hoheit, die ihr zu Theil wird. Auſſer Raphael ha- ben wenige dieſe Idee erreichet; die gebeugte Schmerzensmutter gelang ihnen viel mehr.
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Unbefangenheit, in der die Mutter
von ihr ſelbſt, von ihrer Herrlichkeit,
kaum von ihrem Kinde zu wiſſen ſcheinet,
das ſie dennoch, das dennoch ſie liebreich
umfaͤngt, und den Menſchen hold iſt.
Eine humane Gruppe, die Kind und
Knabe, Maͤdchen und Jungfrau, Braut
und Mutter, Mann und Greis, der Ster-
bende ſelbſt zutrauend-ſanft, gleichfalls mit
chriſtlicher Unbefangenheit gern anſehn; da
uͤbrigens Raphaels Marien, gewiß die
hoͤchſten und reinſten ihrer Art, alle Land-
maͤdchen ſind, nur ſehr innig gedacht
und rein idealiſiret. Jene Glorreiche, ſelbſt,
die, das Kind im Arm, uͤber den Wolken
ſchwebet, kennet ſich ſelbſt nicht und iſt in ei-
ner ſanften Verwunderung uͤber die Hoheit,
die ihr zu Theil wird. Auſſer Raphael ha-
ben wenige dieſe Idee erreichet; die gebeugte
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/93>, abgerufen am 16.07.2024.
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